SECHSTEZS
KAPITEL.
DIE
FUNDAMENTALE ANTINOMIE.
Wir
müssen jetzt unsere Betrachtungen über die Natur des
Bedingten und dessen Verhältniss zum Unbedingten resumiren und die
darin liegende fundamentale Antinomie auf eine möglichst
bündige Weise darlegen.
Bedingt ist dasjenige; in dem sich das Denken nicht
beruhigen kann, sondern genöthigt wird, weiter zu einem Anderen
überzugehen. So ist alle Philosophie
ein Hinausgehen über das Gegebene. Die Hauptsache dabei ist, zu erkennen, welches das Motiv dieses
Hinausgehens und welches der richtige Weg desselben ist. Denn ein
unberechtigtes Hinausgehen auf unrichtigen Wegen und unter unrichtigen
Voraussetzungen ist ein bloss scheinbares
und imaginäres, d. h. in der That gar keines. Man bleibt selbst in
seinen Phantasien stets in der Erfahrung befangen, deren Data man nur
phantastisch arrangirt.
Dass das
Bedingte eine Bedingung voraussetzt, ist ein analytischer Satz, sagt Kant,
aber dass man zu dem Bedingten das Unbedingte sucht, geschieht nach
einem synthetischen Grundsatze a priori, von welchem der
Verstand nichts weiss, welchen zu fassen vielmehr ein ganz besonderes
Vermögen, die sog. Vernunft nöthig ist
(Kr. d. r. V. S. 300). Allein der zweite Satz ist eine unmittelbare Folge des ersten. Denn wenn
die Bedingungen alle selbst wiederum bedingt sind,
so hat zwar einzeln jedes Bedingte seine Bedingung, aber das
378 Viertes
Buch. Sechstes
Kapitel.
Bedingte
überhaupt, als solches hat
dann keine. Soll das Bedingte überhaupt, als
solches eine Bedingung haben, so muss diese nothwendig unbedingt sein.
Dass nun das Bedingte als solches keine
Bedingung haben kann, dass das Unbedingte nie als eine Bedingung oder
Ursache und eine Ursache oder Bedingung nie als unbedingt gedacht
werden kann, darin besteht die fundamentale Antinomie.
Um dieses
einzusehen, muss man vor allen Dingen die
Frage erörtern, wie wir überhaupt etwas als bedingt erkennen
können. Denn das Bedingtsein ist kein
Merkmal oder Attribut, welches unmittelbar in der Wahrnehmung eines
Gegenstandes gegeben werden könnte. Ich habe schon früher
einmal erwähnt, dass es bloss zwei Wege gibt, über ein
unmittelbar Gegebenes hinauszugehen: l) Den empirischen Weg, mittelst
Induction, und 2) den, wie man ihn nennen kann, speculativen Weg, durch
Vergleichung oder Zusammenstellung des Gegebenen mit dem Begriffe, den
wir a priori von dem eignen, unbedingten Wesen der Diage
haben, woraus die Nichtübereinstimmung der beiden erhellt.
Mittelst
Induction kann man nun zwar (obschon, wie gezeigt, nicht ohne
Beihülfe des Begriffs a priori) einen Zusammenhang der
Erscheinungen mit Gewissheit constatiren; aber darin liegt an und
für sich noch keine Veranlassung, die Art der gegebenen
Erscheinungen überhaupt für bedingt zu halten und ein von
diesen dem Wesen nach unterschiedenes Unbedingtes anzunehmen. Denn
mögen sich die Theile der Welt gegenseitig bedingen – wie z. B.
das Subject und das Object des Erkennens – so folgt daraus doch auf
rein empirischem Wege noch nicht, dass die Welt selbst, die
Totalität der bedingten Theile, auch bedingt und von etwas ausser
ihr abhängig sei. Denn dieses
Verhältniss der Theile der Welt könnte möglicherweise
gerade zu dem wahren, eigenen, unbedingten Wesen derselben gehören.
Nur auf speculativem Wege können wir einsehen, dass alle
Relativität dem ursprünglichen, unbedingten Wesen der Dinge
fremd ist und also ein
Die
fundamentale Antinomie.
379
Bedingtsein
constituirt. Kurz, wie befremdend das auch klingen mag, man kann aus
blosser Erfahrung nie erkennen, dass etwas im eigentlichen Sinne des
Wortes bedingt sei. Die blosse Induction gibt kein Mittel an die
Hand, zu unterscheiden, was in den gegebenen Daten zu dem eigenen,
ursprünglichen Wesen der Dinge gehört und was nicht; das ist
nur auf speculativem Wege einzusehen. Aber im eigentlichen Sinne ein Bedingtes
ist nur dasjenige, was Elemente
enthält, welche dem ursprünglichen, wahren Wesen der Dinge
oder überhaupt des Wirklichen fremd sind.
Zu der
Einsicht, dass das Gegebene bedingt ist und also ein von ihm
unterschiedenes Unbedingtes voraussetzt, gelangen wir daher nur durch
das allein wahrhaft metaphysische Bewusstsein, dass das Reale oder
Wirkliche an sich, in seinem eigenen Wesen mit sich selbst vollkommen
identisch, und mithin nicht so beschaffen ist, wie wir es in
der Erfahrung erkennen, und folglich dass die empirische, gegebene
Natur desselben Elemente enthält, welche seinem wahren Wesen fremd
sind. Dabei wird uns mit einem Male klar, warum wir zu allem
Bedingten nothwendig das Unbedingte hinzudenken müssen und doch
nicht als die Bedingung desselben fassen
können.
Diejenigen
Elemente in der gegebenen Wirklichkeit nämlich, welche dem wahren
Wesen der Dinge oder des Wirklichen fremd
sind, können selbstverständlich aus diesem nicht herstammen. Als fremde müssen sie zu ihm hinzugekommen
sein. Da es aber ausser dem Wirklichen nichts gibt, woraus etwas
stammen oder kommen könnte, so ist es
folglich schlechthin unmöglich zu begreifen, woher die fremden
Elemente kommen. Hier ist also die in dem
Wesen des Bedingten liegende Antinomie gleichsam mit Händen zu
greifen. These und Antithese haben darin einen und
denselben gemeinsamen Grund. Eben weil
die bedingte gegebene Beschaffenheit des Wirklichen seinem
ursprünglichen Wesen fremd ist, muss sie eine auswärtige
Bedingung haben. Aber gerade weil sie dem
380 Viertes
Buch. Sechstes
Kapitel.
Wirklichen
überhaupt an sich fremd ist, kann sie
keine auswärtige noch sonstige Bedingung haben, weil es ausserhalb
des Wirklichen eben nichts gibt. Derselbe Grund also, welcher eine
Erklärung der Welt nöthig macht, zeigt auch, dass eine
Erklärung derselben nicht möglich ist.
Wären in der gegebenen Wirklichkeit keine Elemente vorhanden,
welche dem wahren Wesen der Dinge fremd sind, so wäre auch kein
Grund da, nach den Bedingungen derselben zu fragen. Denn was zu der
wahren, ursprünglichen Natur des Wirklichen gehört, ist eo ipso schon unbedingt. Aber die
dem Wesen des Wirklichen fremden Elemente können natürlich
aus diesem nicht abgeleitet werden, d. h. also überhaupt keinen
wirklichen, realen Grund haben, da es natürlich ausser dem
Wirklichen nichts gibt.
Es bleibt
nur noch übrig, diese fremden Elemente einzeln aufzuführen. Zuerst ist
nun, wie schon früher gezeigt worden, alles Bedingte ein blosses
Geschehen, existirt seinem Wesen nach in der Zeit, und bei diesem
kommen, wie erwähnt, zwei Dinge in Betracht, das Geschehen selbst
als solches und die Beschaffenheit desjenigen, was geschieht.
Dass das Geschehen
(der Wechsel, die Veränderung) als
solches dem wahren Wesen des Wirklichen fremd ist, habe ich in einem
besonderen Kapitel nachgewiesen. Die Antinomie, welche in der bedingten
Natur des Geschehens oder der Veränderung liegt, kommt nun am
klarsten darin zu Tage, dass die Reihe der Ursachen des Geschehens ins
Unendliche rückwärts geht. Kant hat die
Behauptung der Anfangslosigkeit der Begründung im Geschehen als die Antithese aufgestellt; unter der These
dagegen die Forderung einer definitiven Begründung, einer ersten
Ursache des Geschehens verstanden und beide durch verschiedene
Gründe zu unterstützen gesucht. Allein beides, These und Antithese, ist hier ganz unzertrennlich
in einander involvirt. Denn die Forderung einer Begründung
überhaupt ist nothwendig zugleich die
Forderung einer definitiven Begründung. Die Antinomie besteht
gerade
Die
fundamentale Antinomie.
381
darin, dass
eben derselbe Satz der Causalität, welcher zu jeder
Veränderung eine Ursache oder Bedingung fordert, mithin jede
Veränderung als begründet ansehen lässt, zugleich alle
Möglichkeit einer ersten Ursache oder einer definitiven
Begründung der Veränderungen ausschliesst. Jede
Veränderung hat eine Ursache, aber gerade darum ist eine erste, unbedingte Ursache von
Veränderungen nicht denkbar. Alles, was geschieht, hat im
Einzelnen seine Ursache, aber das Geschehen überhaupt, als solches kann keine Ursache haben. Beides
folgt aus dem Causalitätsgesetze oder
vielmehr aus der Grundlage desselben, d. h. dem Umstande, dass das
Geschehen dem ursprünglichen Wesen der Dinge fremd ist.
Da der Satz
der Causalität und die in demselben liegende Antinomie allen
philosophisch Gebildeten bekannt ist, so können sie an diesem
Falle die Natur und den Grund der fundamentalen Antinomie sich klar
machen, welche die Welt der Erfahrung überhaupt durchdringt.
Ausser dem
Wechsel oder der Veränderung selber
gibt es nun noch drei Elemente in der erfahrungsmässigen
Wirklichkeit, welche dem wahren, ursprünglichen Wesen der Dinge,
dem Realen an sich fremd sind, nämlich:
1) Die
Relativität, der Zusammenhang des Verschiedenen nach Gesetzen.
2) Die
Unwahrheit, welche in der Erkenntniss des Wirklichen vorkommt.
3) Das Uebel
und die Unvollkommenheit der empirischen Dinge.
Dass alle Relativität,
aller Zusammenhang des Verschiedenen nach Gesetzen dem wahren Wesen
der Dinge fremd ist, das habe ich in dem
zweiten Buche dieses Bandes ausführlich zu beweisen
382 Viertes
Buch. Sechstes
Kapitel.
fahrungsmässigen Natur der
Wirklichkeit ist also nicht bloss die Relativität des
Verschiedenen in ihr, sondern mehr noch die Verschiedenheit und
Vielheit ihrer Elemente und Bestandtheile überhaupt. Diese kann daher aus dem Wesen des Einen Unbedingten
auch auf keine Weise abgeleitet werden.
Was die Unwahrheit
in der Erkenntniss betrifft, so ist gezeigt worden, dass die
Erkenntniss überhaupt, welche ein Zerfallen der Wirklichkeit in
ein Subject und ein Object voraussetzt, dem wahren Wesen derselben, d.
h. dem Realen an sich fremd ist. Auch habe ich mehrmals darauf
hingewiesen, dass wenn die Erkenntniss zum eigenen Wesen der Dinge
gehörte, eine Unwahrheit in derselben schlechterdings nicht
möglich sein würde. Dass das
Vorhandensein der Unwahrheit aus dem eignen, wahren Wesen der Dinge
nicht abgeleitet werden kann, das wird Jedermann ohne Weiteres einsehen.
Was nun
endlich das Uebel und die Unvollkommenheit anbetrifft,
so ist jeder Versuch, dieselben aus der
eignen, normalen Natur der Dinge abzuleiten, geradezu eine Thorheit.
Denn Schmerz und Uebel tragen, wie ich oben gezeigt habe, in sich
selber unmittelbar das Zeugniss, dass sie nicht zu dem eignen Wesen der
Dinge gehören, eine Anomalie ausmachen, etwas sind, das vicht sein
sollte, das sich selbst verleugnet und verurtheilt. Alle Theodiccen,
gleichviel ob theistisch oder pantheistisch
ausgeführt, sind denn auch nichts, als leere Worte. Das Uebel soll rechtmässig im Plan der Welt liegen?
Das Elend und die Unvollkommenheit der Theile soll ein integrirendes
Element der Herrlichkeit und Vollkommenheit des Ganzen sein? Aber wie wäre eine herrliche Schöpfung aus
wurmstichigem Material möglich? Das Ganze ist nichts als die Summe seiner Theile, und wenn
die Theile miserabel sind, so ist eo ipso auch das Ganze
miserabel. Diese Theile sind aber wir, die
fühlenden und denkenden Subjecte selbst. Was die todten
körperlichen Massen betrifft, so würden dieselben, auch wenn
sie wirklich existirten – was bewiesenermassen nicht der Fall ist –
doch in unserer Frage nicht in
Die
fundamentale Antinomie.
383
Betracht
kommen. Denn welcher Opfer wäre wohl die
»Vollkommenheit« todter Massen oder auch blinder
Kräfte werth? An uns aber, den denkenden Wesen, ist das Beste gerade der über die
Erbärmlichkeit der Welt sich erhebende Sinn, welcher eben die
Verurtheilung derselben implicirt.
Es ist
sonnenklar, dass alle Versuche, das Uebel zu beschönigen und zu
rechtfertigen, ihren Grund und Anlass lediglich in dem Vorurtheil
haben, das Unbedingte enthalte den zureichenden Grund der Welt und
diese müsse sich aus ihm ableiten lassen. Dieses Vorurtheil ist in der Meinung der Menschen felsenfest
eingewurzelt, muss aber auch mit der Wurzel ausgerottet werden, weil es
sowohl die religiöse als die wissenschaftliche Betrachtung der
Dinge verfälscht und in die traurigsten Irrthümer führt.
Nach allen vorhergehenden Erörterungen wird man,
wie ich hoffe, sowohl die Nichtigkeit aller Metaphysik als auch den
Grund, welcher die Menschen immer zur Metaphysik treibt, klar einsehen.
Kant’s Nachweis der Unmöglichkeit einer Metaphysik war
nicht genügend, ja kaum berechtigt
oder begründet. Denn derselbe beruht auf der Voraussetzung dass
die Natur des Erkennens einem Mechanismus gleiche welcher gar nicht zur
Auffassung der Wirklichkeit, sondern bloss zur Verknüpfung des
gegebenen Stoffes der Wahrnehmung dienen soll. Diese Voraussetzung nun ist eine blosse Hypothese, und zwar eine falsche
Hypothese. Daher haben wir auch gesehen, dass Kant selbst
stets dazu getrieben wurde, im Widerspruche mit derselben den sog. Kategorien eine objective Bedeutung und
Gültigkeit beizulegen, ja dieselbe
sogar auf Regionen auszudehnen, wo sie in der That aufhört, wie z.
B. in der Annahme, dass das Noumenon, das Unbedingte die Ursache der
Erscheinungen sei. Kant’s Kritik der Beweise für das
Dasein Gottes ist ebenfalls ungenügend
und unzureichend.*) Denn diese Kritik bezieht sich auf die An-
_______
*) Womit
freilich nicht geleugnet werden soll, dass dieselbe zu ihrer Zeit
höchst wirksam und verdienstvoll gewesen ist.
384 Viertes
Buch. Sechstes
Kapitel.
nahme eines
allerrealsten und eines absolut - nothwendigen Wesens, welche (Annahme)
keinen Sinn hat und um die sich auch gegenwärtig kein Mensch
kümmert. Es ist bloss von dem Unbedingten die Rede, und es fragt
sich eigentlich nicht darum, ob das Unbedingte existire oder nicht,
denn die Existenz desselben bestreitet Niemand. Etwas
Selbstexistirendes muss in der Wirklichkeit da sein. Das Unbedingte
leugnen hiesse, leugnen, dass es ein eignes, ursprüngliches Wesen
der Dinge gibt, was offenbar ungereimt wäre. Es handelt sich
vielmehr darum, zu wissen: 1) Auf welchem Wege die Erkenntniss des
Unbedingten gewonnen werde? 2) Wie weit sich diese Erkenntniss
erstrecken könne? 3) Und ob aus dem Unbedingten das Gegebene
abgeleitet werden könne?
Besonders
die letztere Frage ist für die
Metaphysik von entscheidender Wichtigkeit. Mit der bejahenden oder verneinenden Beantwortung dieser Frage steht
oder fällt die Metaphysik. Dass unsere Erkenntniss des Unbedingten
keinen Stoff oder Inhalt haben kann und
sich also ursprünglich auf den blossen Begriff desselben reducirt,
das versteht schon so ziemlich jeder Mensch, der überhaupt etwas
zu denken im Stande ist. Denn die Erkenntniss eines gegebenen Inhalts ist eben – Erfahruug, und das Unbedingte ist
notorisch kein Gegenstand der Erfahrung, sondern vielmehr von allen
solchen Gegenständen total verschieden. Daher würde auch
selbst der eingfleischteste Metaphysiker zugeben, dass wir von dem
Unbedingten nichts wissen können, als dessen Dasein, wenn nicht
das Interesse der Vernunft da wäre, das Gegebene aus dem
Unbedingten abzuleiten. Diesem zu genügen, unternimmt man es, sich
selber eine Vorstellung von dem Unbedingten zu schaffen oder zu
erdichten; und da man dazu natürlich keine anderen Materialien
hat, als welche sich in der Erfahrung vorfinden, so wird auch die
Vorstellung des Unbedingten aus diesem empirischen Material gebildet.
Was auf diese Weise zu Stande kommt, ist
selbstverständlich ein Mach-
Die
fundamentale Antinomie.
385
werk, ein
Produkt der Einbildungskraft, von welchem es nur schlechterdings nicht
zu begreifen ist, wie es jemals von irgend einem vernünftigen
Menschen im Ernste für eine Vorstellung des Unbedingten gehalten
werden konnte. Alle Metaphysik ist
Metaphysik nur dem Namen nach, in der That aber bloss eine
imaginäre, phantastische Erweiterung der Erfahrung. Wenn die
Objecte der metaphysischen Lehren wirklich existirten, so würden
sie eben empirische Gegenstände sein, welche mit dem Unbedingten
nichts gemeinsam hätten als den Namen. Aber auch als empirische Theorien sind die Lehren der
Metaphysiker völlig werthlos, weil sie keine Verification durch
die Erfahrung zulassen und auf eine solche überhaupt nicht
berechnet sind.
Da die
Metaphysiker von vornherein voraussetzen, dass das Unbedingte den
zureichenden Grund des Bedingten enthalte, und ihre Hauptaufgabe darein
setzen, letzteres aus ersterem abzuleiten oder zu erklären, was
ist die unvermeidliche Folge davon? Für die Wissenschaft gewiss
die traurigste. Denn sie fragen nicht darnach, auf welchem Wege wir zu
unserem Bewusstsein des Unbedingten gelangen, was der Inhalt desselben
wirklich ist und wie dessen objective
Gültigkeit bewiesen und beglaubigt werden kann. Weit entfernt;
jeder Metaphysiker bestimmt vielmehr selbst den Begriff oder
die Vorstellung des Unbedingten, wie es ihm iudividuell am passendsten
scheint, um aus demselben die gegebenen Dinge auf die geschickteste
Weise abzuleiten. Der Erklärungsgrund wird selbst in der Weise façonnirt, dass
er gerade das wiedergibt, was man von ihm verlangt nnd was man daher
von vornherein in ihn hineingelegt hat. Diese Maxime der Metaphysiker
hat am naivsten Herbart ausgesprochen: »Das Seyende muss
gerade als ein solches bestimmt werden, wie
es seyn muss, damit die Erscheinungen ihrerseits als solche und keine
anderen hervorgehen« (Allg. Met. I. S. 380). Dieses Verfahren ist
aber offenbar genau dem ähnlich, als ob man sich selber Quittungen
über die Bezahlung seiner
386 Viertes
Buch. Sechstes
Kapitel.
Schulden
ausstellte und die Schulden dadurch für wirklich bezahlt hielte.
Kurz gesagt,
eine Metaphysik ist unmöglich aus
zweifachem Grunde:
Erstens,
weil der ursprüngliche Begriff von dem eignen, unbedingten Wesen
der Dinge, dieses oberste Gesetz unseres Denkens, welches die
Erkenntniss der Körper und der gegebenen Successionen bedingt,
sowie dem Satze der Causalität und mit diesem aller Induction die
rationelle Gewissheit verleiht, nur durch die Mitwirkung der Erfahrung
zu einem fruchtbaren Princip des Wissens werden kann, und daher wohl
ein Bewusstsein, aber keine Wissenschaft des Uebersinnlichen, des
Unbedingten, d. h. keine Metaphysik möglich macht.
Zweitens,
vreil aus der Zusammenstellung der Aussage jenes Grundbegriffs mit den
Daten der Erfahrung sich der Schluss ergibt, dass die Erfahrung
Elemente enthält, welche dem Wesen der Dinge an sich, dem
Unbedingten fremd sind, und folglich aus demselben nicht abgeleitet
werden können.