DRITTES KAPITEL.

WAS IST DIE NEGATION IN DER WIRKLICHKEIT?

 

Es ist ein sehr bedenklicher und betrübender Umstand dass in der Philosophie eine Belehrung gar nicht möglich zu sein scheint. Wir sehen, dass selbst in den einfachsten, elementarsten Fragen stets Ansichten vertreten und behauptet werden, deren Unhaltbarkeit ganz offen am Tage liegt und auch hundertmal nachgewiesen worden ist. Wenn es in diesem Gebiete der Forschung auch nicht möglich wäre, zu richtigen positiven Ergebnissen zu gelangen, so könnte uns, sollte man meinen, wenigstens doch nichts hindern, uns vor irrthümlichen Meinungen und Annahmen zu bewahren. Allein es wohnt dem Menschen, wie schon Bacon*) bemerkt hat, eine ganz besondere Vorliebe zur Affirmation, zur Behauptung bei, der zufolge wir lieber glauben und behaupten wollen, auf die Gefahr hin, uns in unserer Ansicht zu irren, als nach dem Vorgange des Socrates uns bei dem Bewusstsein unseres Unwissens in Betreff eines Gegenstandes der Forschung zu beruhigen, oder was noch besser wäre, unsere Untersuchungen mit mehr Genauigkeit und kritischer Vorsicht fortzusetzen.

 

Ein Fall eines solchen unverantwortlichen Irrens ist die Verwechselung der logischen Negation mit der realen. Es

 

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*) S. Neues Organon, übers. u. herausg. v. Kirchmann, SS. 97 – 98: „Dem menschliehen Verstande haftet der eigenthümliche Fehler an, stets mehr dem Bejahenden als dem Verneinenden sich zuzuneigen, während er doch nach Recht und Ordnung sich zu beiden gleich verhalten sollte.“

 

 


 

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scheint unglaublich, dass denkende Männer, ja Philosophen, die Affirmationen und Negationen, die wir in unseren Vorstellungen und deren Ausdrücken über die Gegenstände fällen, für etwas diesen Gegenständen selbst Inhärirendes halten könnten. Man könnte ja mit ebensoviel Sinn auch die Worte, in welchen unsere Affirmationen und Negationen ausgesprochen werden, den Gegenständen als einen Theil ihrer Beschaffenheit beilegen. Dass Wasser nicht Kupfer und ein Pferd nicht ein Sperling ist, das sind, wie selbst ein Kind einsehen sollte, keine Negationen in diesen Gegenständen selbst, sondern nur in unserem Denken, welches sie unter einander vergleicht und ihre Unterschiede hervorhebt. Nichtsdestoweniger wurden auf dieser Objectivirung der logischen Negation ganze Systeme gebaut und das Missverständniss dauert bis in die Gegenwart hinein fort. So hat z. B. nach Ulrici’s Ansicht (Zur log. Frage, 1870, S. 70) »die Negation im Seyn ganz dieselbe Bedeutung, wie im Denken« und umgekehrt, »im Denken ganz dieselbe Bedeutung, wie im Seyn. Denn was im Seyn die Bestimmtheit ist, das ist im Denken der Unterschied..... Ein Bestimmtes kann es (d. h. etwas) nur sein und gefasst werden mittelst der Negation, mittelst und wegen seiner Unterschiedenheit von Anderem« (Eb. S. 72); woraus also folgt, dass ein realer Gegenstand seine sämmtlichen Bestimmtheiten und Eigenschaften verlieren muss, sobald sich alle anderen Gegenstände von ihm entfernen und er allein zurückbleibt, ohne die Möglichkeit mit denselben verglichen zu werden.

 

Am bündigsten hat dieses Missverständniss Spinoza ausgesprochen in dem bekannten Satze: Omnis determinatio est negetio. Treffend bemerkt darüber Herbart (All. Met. I, S. 493): »Spinoza hielt die Negation im zusammenfassenden Denken, die wir vornehmen, wo wir Eins dem Anderen gegenüberstellen, für eine Negation im Gegenstande selbst. Bei dieser Verwechselung ist es nun kein Wunder, wenn gerade Dasjenige, dessen Position fertig, also geschlossen und vollständig ist, gehalten wird für ein Endliches, in dem Sinne,

 

 


 

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als ob ihm etwas mangelte, das man ihm noch zusetzen könnte.«

 

Die eigentliche Consequenz dieser Objectivirung der logischen Negation ist, dass nur dasjenige im vollen Sinne für real zu halten ist, was entweder ganz bestimmungslos ist oder eine unendliche Menge von Bestimmungen und Prädicaten in sich vereinigt. Man wurde indessen durch dieselbe bloss zu der Einbildung eines ens realissimum geführt, welches der Inbegriff aller in der Wirklichkeit vorhandenen Prädicate und Realitäten sein soll, und welches selbst Kant für ein Ideal der Vernunft hielt, das »auf einer natürlichen und nicht willkürlichen Idee gegründet« sei (Kr. d. r. Vft., S. 468). Kant erklärte zwar dieses Ideal für ein bloss regulatives Princip der Vernunft, aber von den Pantheisten nach ihm wurde diese Einbildung ganz ernstlich adoptirt, und sogar in unserer Zeit noch behauptet Mansel z. B., dass das Absolute und Unendliche (eigentlich zwei ganz unverträgliche Dinge) »nichts weniger sein kann, als die Summe aller Realität«, welche in sich Alles enthält, »was actuell ist, selbst das Uebel inbegriffen«.*)

 

Wenn Jemand gesagt hätte, dass ein Ochse, der durch die Strasse zieht, eins und identisch sei mit dem Hunde, der ihn anbellt, und mit dem Wagen, an welchem er vorgespannt ist, so würde jedermann diesen Menschen für verrückt halten. Aber jene Philosophen behaupten, dass alle Ochsen, Hunde, Wagen und sonstigen vorhandenen Gegenstände ein einziger Gegenstand seien, und sie werden mit Erfurcht angehört. Und doch ist offenbar die letztere Behauptung nur die unbedingte Verallgemeinerung der ersteren. Der eigentliche Pantheismus ist eine Ansicht von so palpabler Absurdität, dass man mit Widerlegung desselben nur die Zeit verschwenden würde. Kein Mensch ist auch jemals ernstlich Pantheist gewesen. Das hoffe ich im nächsten Kapitel wenigstens an einem

 

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*) Citirt in dem Werke St. Mill’s An Examination etc. p. 113.

 

 


 

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der hervorragendsten Pantheisten, an Spinoza, zu zeigen. Hier will ich nur die Darstellung, welche Kant von dem Begriffe eines ens realissimum gegeben hat, anführen.

 

In der Kritik der reinen Vernunft steht darüber unter Anderem Folgendes:

 

»Der Satz: alles Existirende ist durchgängig bestimmt, bedeutet nicht allein, dass von jedem Paar einander entgegengesetzter gegebener, sondern auch von allen möglichen Prädicaten ihm immer eins zukomme...... Er will soviel sagen, als: um ein Ding vollständig zu erkennen, muss man alles Mögliche erkennen, und es dadurch, es sei bejahend oder verneinend, bestimmen Daraus stammt »die Idee von dem Inbegriffe aller Möglichkeit«, welche bei näherer Untersuchung »sich bis zu einem durchgängig a priori bestimmten Begriffe läutert und dadurch der Begriff eines einzelnen Gegenstandes wird, der durch die blosse Idee durchgängig bestimmt ist, mithin ein Ideal der reinen Vernunft genannt werden muss.« (S. 463.)

 

Die Relativität der gegebenen Objecte bringt es zwar mit sich, dass man einen Gegenstand eigentlich nur dann vollständig kennen würde, wenn man seine Art des Verhaltens gegen alle anderen Gegenstände wüsste. Denn die Eigenschaften der erkannten Objecte sind bloss Arten und Weisen, wie sie sich unter einander verhalten. Allein Kant und die Pantheisten denken offenbar dabei nicht an die wirkliche Relativität der Dinge, sondern nur an diejenige, welche sie durch ihr Beisammensein im zusammenfassenden und vergleichenden Denken erhalten. Ein Mensch kann viele Gegenstände kennen und in abstracto sogar eine ganz unbestimmte Menge vorhandener oder möglicher Gegenstände voraussetzen, und dann sieht er freilich ein, dass ein Gegenstand nicht ist wie ein anderer, und dass in demselben Vieles nicht angetroffen wird, was den anderen eigen ist. Allein was hat dieser Umstand mit den wirklichen Gegenständen selbst oder auch nur mit unserer Erkenntniss derselben zu thun? Wird meine

 

 



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Erkenntniss eines Tintenfasses z. B. dadurch vermehrt und vervollständigt, dass ich einsehe, das Tintenfass sei keine Nachtigall und keine Parlamentsrede? Und was soll man gar zu dem Einfall sagen, die verschiedenen Prädicatsvorstellungen in dem Kopfe eines Menschen zu der Vorstellung eines Gegenstandes ausser seinem Kopfe, und zwar zu der Vorstellung eines Urwesens zu vereinigen? Dass eine solche Vorstellung nicht allein keine Berechtigung, sondern nicht einmal einen Sinn hat, ist doch Kant selbst nicht entgangen. Denn er Sagt: »Weil man auch nicht sagen kann, dass ein Urwesen aus viel abgeleiteten Wesen bestehe, indem ein jedes derselben jenes voraussetzt, mithin es nicht ausmachen kann, so wird das Ideal des Urwesens auch als einfach gedacht werden müssen. (Der Besitzer aller möglichen Prädicate »einfach«?) Die Ableitung aller anderen Möglichkeiten von diesem Urwesen wird daher, genau zu reden, auch nicht als eine Einschränkung seiner höchsten Realität und gleichsam als eine Theilung derselben angesehen werden können .... Vielmehr würde der Möglichkeit aller Dinge die höchste Realität als ein Grund und nicht als Inbegriff zu Grunde liegen« (Eb. S. 467).

 

Kant hat also mit einem »Inbegriff« angefangen und ist von diesem zu einem »Grunde« gekommen, ohne jeden anderen Uebergang, als welcher in den oben citirten Worten »weil man auch nicht sagen kann u. s. w liegt. Der Gedanke eines Grundes ist aber offenbar ein ganz anderer, als derjenige eines Inbegriffs. Wie unklar man sich auch einen Grund denkt, so ist doch darin jedenfalls der Unterschied desselben von seinen Folgen mitgedacht und somit der pantheistische Gedanke der Alleinheit aufgegeben. So ist es aber auch stets mit dem Pantheismus ergangen; man behauptet die Einheit des Urwesens mit der Welt und denkt sich dasselbe doch immer als etwas von der Welt Unterschiedenes.

 

Wenn ich die Annahme betrachte, nach welcher es eine

 

 



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Negation, ein Mangel in dem Wesen eines Gegenstandes sein soll, dass derselbe nicht die Eigenschaften aller anderen Dinge hat, und die daraus hervorgehende Einbildung, dass das Urwesen oder das Unbedingte alle möglichen Eigenschaften besitze, so will es mir scheinen, dass dieselbe von der Beobachtung der menschlichen Eigenthumsverhältnisse herstammt. Jeder Mensch besitzt sehr Vieles nicht, was andere Menschen haben, und doch könnte er es ganz gut besitzen und benützen, wenn es ihm eben nicht von anderen Menschen vorenthalten wäre. Wenn man nun die Eigenschaften der Dinge auch in dem Lichte eines solchen Besitzes ansieht, dann kann es wohl scheinen, als ob ein Gegenstand, wie Herbart sich ausdrückt, etwas »an dem verliert, was andere sind und haben Herbart bekämpft diese Ansicht mit guten Gründen, allein die beste Bekämpfung besteht darin, dass man zeigt, was eine reale Negation in der Wirklichkeit ist und wie sie sich von der logischen Negation unterscheidet.

 

Wenn einem Gegenstande etwas fehlt, was zu seinem eigenen Wesen gar nicht gehört, so ist das nicht der geringste Mangel und keine Negation in dem Gegenstande selbst. Zu einer Negation wird es bloss im Denken, welches ausser den Eigenschaften dieses Dinges noch viele andere kennt und einsieht, dass dieselben sich in dem Gegenstande nicht vorfinden.

 

Wenn aber einem Dinge etwas fehlt, was zu seinem eigenen Wesen gehört, so ist das ein wirklicher Mangel, eine in dem Gegenstande selbst vorhandene reale Negation, welche man von der logischen genau unterscheiden muss.

 

Wer würde es für einen Mangel in dem Menschen ansehen wollen, dass derselbe keine Hörner und keinen Schwanz hat? Fehlen aber diese einem Ochsen, so ist das ein wirklicher Mangel. Der Grund davon ist klar: Hörner und Schwanz gehören eben zu dem Wesen eines Ochsen, aber nicht zu demjenigen eines Menschen. Die Vollkommenheit

 

 


 

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eines Dinges besteht also nicht darin, dass dasselbe alle möglichen oder wirklichen Eigenschaften hat, sondern nur darin, dass dasselbe alles zu seiner eigenen Natur Gehörende besitzt.

 

Aus dem obigen Beispiele eines Mangels der Hörner und des Schwanzes geht es nicht so klar hervor, dass dieser Mangel eine wirkliche Negation in dem Wesen eines Ochsen ist, weil Hörner und Schwanz mehr zu der äusseren Erscheinung dieses Thieres, als zu dessen innerer Constitution gehören. Man nehme aber jeden krankhaften Zustand, sei es des Geistes oder des Körpers, jede Abweichung von dem normalen, seiner eigenen Natur gemässen Zustande eines lebenden Wesens, so wird man zugeben müssen, dass ein lebendes Wesen in einem solchen Zustande nicht mehr ganz es selbst ist. Besonders ist die Geisteskrankheit eine fast vollkommene Entfremdung des Thieres von sich selbst. Ein delirirender Mensch und ein toll gewordenes Thier sind nur noch nach äusserlichen Merkmalen und Eigenschaften mit ihrer früheren, normalen Persönlichkeit zu identificiren.

 

Eine reale Negation kann aber auch darin bestehen, dass in einem Dinge etwas vorhanden ist, was zu seinem eigenen Wesen nicht gehört und was also von demselben negirt werden muss. Und zwar kann alle reale Negation auf diese letztere Bestimmung zurückgeführt werden. Denn wenn auch einem Dinge etwas fehlt, was zu seinem eigenen Wesen gehört, so ist dies eben auch ein Umstand, welcher demselben an sich fremd ist oder zu seiner eigenen, normalen Beschaffenheit nicht gehört.

 

Das Vorhandensein einer realen Negation in einem Dinge bildet einen realen Widerspruch in demselben, welcher von dem logischen Widerspruch durchaus verschieden ist. Wenn ein Ding etwas enthält, was ihm an sich fremd ist, so ist dasselbe offenbar mit sich selbst nicht vollkommen identisch, und diese Abwesenheit der Identität mit sich ist ein realer Widerspruch, eine reale Nichtübereinstimmung des Dinges

 

 



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mit sich selbst. Einen logischen Widerspruch würde aber dieses Verhältniss nur dann ausmachen, wenn das in dem Dinge vorhandene ihm fremde Element dennoch zu seinem eigenen Wesen gehörte, was jedoch, wie alles logisch Widersprechende, unmöglich und undenkbar ist, obgleich es von Einigen, und namentlich von Hegel im Ernst behauptet worden ist.*)

 

Es ist nun schon ausführlich gezeigt worden, dass eine bedingte Wirklichkeit überhaupt diejenige ist, welche Elemente enthält, die dem eigenen, ursprünglichen Wesen der Dinge fremd sind. Ich habe schon früher nachgewiesen, dass die gegebene Wirklichkeit mit dem Grundgesetze unseres Denkens, welches in den beiden logischen Sätzen der Identität und des Widerspruchs zum Ausdruck kommt, in einem Verhältnisse der Disparität steht, dass dieselbe zwar gegen den Satz des Widerspruchs nicht verstösst, aber auch mit dem Satze der Identität nicht übereinstimmt, weil ihr eben Identität mit sich selber mangelt, und eine solche Verfassung der Dinge nenne ich einen realen Widerspruch. Wir sehen also, dass Unvollkommenheit und Bedingtsein unter denselben Oberbegriff gehören, nämlich den des »Mangels an Identität mit sich selbst«, d. h. den des inneren realen Widerspruchs. Und so gehören andrerseits Vollkommenheit und unbedingtes Sein, unter denselben Oberbegriff, nämlich den der Identität mit sich selbst, beide sind blosse Specificationen des letzteren. Nunmehr wird es, hoffe ich, klar sein, was die Unvollkommenheit, die uns an den Dingen dieser Welt anffällt, in ihrem Grunde selbst bedeutet.

 

Das Grundgesetz unseres Denkens fordert Identität mit sich. Die gegebene Wirklichkeit entspricht diesem Gesetze nicht. Zwischen diesen beiden Mächten besteht daher ein Widerstreit, aus welchem eben alle Philosophie hervorge-

 

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*) Logisch widersprechend ist, wie wir wissen, jede unbedingte Vereinigung des Verschiedenen und nur eine solche.

 

 



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gangen ist. Unser Geist wundert sich, wie schon Platon bemerkt hat, über die Beschaffenheit des Wirklichen und dies treibt ihn zum Philosophiren. Diese Verwunderung entsteht daraus, dass wir in dem uns Gegebenen nicht die vollkommene Uebereinstimmung mit ihm selbst antreffen, welche allein unserem Denken, seiner innersten Natur gemäss, Genüge thun oder Befriedigung verschaffen kann. Wir sehen daher, dass schon sehr früh einige Denker zu dem Bewusstsein dieser discrepanten Natur der gegebenen Wirklichkeit gelangt waren. Mehr als vierhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung hat Heraclit von Ephesus behauptet, dass alle Dinge Entgegengesetztes in sich vereinigen und einem steten Wechsel unterworfen seien. Die Lehre von dem logischen Widerspruch war damals noch nicht so ausgebildet, dass man demselben vom realen Widerspruch hätte bewusst unterscheiden können. Es handelte sich daher bei diesen alten Denkern bloss darum, zu entscheiden, ob man das wahre, ursprüngliche Wesen der Dinge selbst für widersprechend und wechselnd ansehen müsse oder nur die Art seiner Erscheinung. Heraclit entschied sich für das erstere, die Eleaten und nach ihnen Platon für das letztere. Diese letzteren zeigen aber eben dadurch, dass sie die Wirklichkeit nicht für eine im logischen Sinne widersprechende hielten. Denn ein logischer Widerspruch ist seiner Natur nach unbedingt; er vereinigt eben zwei Bestimmungen, die sich ohne alle Rücksicht auf alles Andere gegenseitig ausschliessen; er würde also nothwendig das ursprüngliche Wesen der Dinge selbst treffen, wenn er überhaupt in den Dingen selbst angetroffen werden könnte. Wenn Platon sagte, dass die erkannten Gegenstände zugleich sind und nicht sind, so hat er damit nicht gemeint, dass dieselben zugleich existiren und nicht existiren, was einen logischen Widerspruch ausmachen würde, sondern nur, dass diese Gegenstände eine geschwächte, unvollkommene Realität haben. Der Gedanke von einem Mehr und Minder der Realität ist uns schon durch die

 

 



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gemeine Erfahrung nahe gelegt, in welcher alle Erscheinungen verschiedene und wechselnde Grade der Intensität haben. Aber die Existenz kann keine Grade haben. Der schattenhafteste Gegenstand ist, wenn einmal vorhanden, eine ebenso feste Thatsache, wie der vollste und mächtigste; und umgekehrt, kann man sich den mächtigsten Gegenstand denken, ohne daraus seine Existenz folgern zu dürfen.

 

Um so merkwürdiger ist es, dass bei den Neueren in diesem Punkte mehr Unklarheit herrscht. Gleich am Anfang der neuen philosophischen Epoche behauptete Giordano Bruno, dass Aristoteles sich von Grund aus geirrt habe, wenn er sagte, dass Entgegengesetztes nicht in einem Subjecte wirklich vereinigt werden könne, und in unserer Zeit haben Herbart und Hegel, von entgegengesetzten Voraussetzungen ausgehend, beide die Wirklichkeit für widersprechend erklärt. Sie meinten eben, dass die logischen Gesetze sich auf die gegebene Wirklichkeit beziehen, und da deren Nichtübereinstimmung mit dieser eine Thatsache ist, so hielten sie diese Nichtübereinstimmung für gleichbedeutend mit einem Widerspruch in der Wirklichkeit selbst. Während nun Herbart sich bemühte, die vermeintlichen Widersprüche aus der Erfahrung wegzuvernünfteln, erklärte Hegel den logischen Widerspruch für das wahre Wesen der Dinge selbst. Daraus seine Behauptung der Identität des Seins und des Nichtseins, der Einheit der Identität und des Unterschiedes und andere dieser Art und seine Verwerfung der logischen Gesetze des Denkens. Man weiss nur nicht, was man dabei mehr zu bewundern hat, ob die ungeheure Absurdität und Dreistigkeit dieses Gebahrens oder den ausserordentlichen Erfolg, den sich dasselbe bei dem philosophischen Publikum errungen hat.