DRITTES
BUCH.
HAUPTFOLGERUNGEN.
ERSTES
KAPITEL.
ABLEITUNG
DES BEGRIFFES DER CAUSALITÄT.
1.
Prüfung verschiedener Ansichten über die Causalität.
Ueber den
Ursprung des Begriffs der Causalität gehen die Ansichten weit
auseinander. Einige glauben nach Hume, dass dieser Begriff
lediglich aus Erfahrung, durch Induction gewonnen und entstanden sei;
Andere dagegen nehmen eine apriorische Begründung desselben in der
Natur des erkennenden Subjects an.
Die
letztere Annahme wird ausserdem auf dreierlei verschiedene Art gefasst:
1) Man hält entweder den Causalitätsbegriff für eine
unmittelbar gewisse, selbstverständliche Einsicht, welche keines
Beweises bedarf. 2)
Die
letztere, Kant’sche Annahme ist vollkommen unzulässig. Es
ist factisch unwahr, dass der Causalitätsbegriff ein blosses Rad
in dem erkennenden Mechanismus sei, ohne objective Gültigkeit.
Solches behaupten kann man nur unter
246
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
der Kant’schen
Voraussetzung, dass die erkennbaren Gegenstände ausserhalb unserer
Vorstellungen nicht existiren, welche Voraussetzung aber kein
vernünftiger Mensch gelten lassen wird. Denn wenn nichts Anderes,
so sind doch wenigstens die Menschen selber für einander
gegenseitig erkennbare Gegenstände, welche von ihren respectiven
Vorstellungen verschieden sind und ausser diesen existiren. Auch glaube
ich in dem früheren Theil dieses Werkes nachgewiesen zu haben,
dass die Empfindungen wirkliche, von unserer Erkenntniss derselben
unterschiedene Objecte seien. Und diese sind dem
Causalitätsgesetze unterworfen, so dass die Kenntniss ihrer
Causalverhältnisse uns befähigt, ihr Eintreten vorherzuwissen
und vorauszusagen, worin eben das Ziel der Naturwissenschaft besteht.
Ja, die Vorstellungen selbst sind wirkliche Objecte, wenn man sie ihrer
realen Seite nach, als Vorgänge in der Wirklichkeit betrachtet,
und was von denselben in dieser Hinsicht gilt, ist eben dadurch schon
objectiv gültig. So wahr nun die Vorstellungen selbst successiv
sind, so stehen sie auch unter objectiven Causalgesetzen, namentlich
denen der Association, welche von allen apriorischen
Erkenntnissgesetzen toto genere verschieden sind.
Die
Annahme, dass der Causalitätsbegriff selbstverständlich sei,
bedarf keiner Widerlegung. Wie kann es selbstverständlich sein,
dass jede Veränderung eine Ursache haben müsse? Dieser Satz
ist offenbar ein synthetischer, wie Kant es schon zur Genüge
dargethan hat, aber ein solcher kann nie im eigentlichen Sinne
selbstverständlich sein. Wie will man in dem Begriffe des sich
Verändernden eine Rücksicht auf etwas ausser ihm Liegendes
unmittelbar ausfindig machen?*)
_______
*) Das
Merkwürdige an der Sache ist, dass man die Behauptung oder
wenigstens die Voraussetzung der Selbstverständlichkeit des
Causalitätsbegriffs meistens bei Schriftstellern findet, welche
sich für Empiristen ausgeben. Den Anfang hat Locke gemacht
in dem Kapitel seines „Essay“, wo er von der Erkennntniss Gottes
handelt. Auch Herbart nimmt als selbstverständlich an,
dass eine Veränderung ohne Ursache, ohne Stö-
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
247
Diese zwei
Voraussetzungen als unhaltbar bei Seite gelassen, muss also die
Entscheidung zwischen den beiden übrig bleibenden Annahmen
getroffen werden, von denen die eine den Causalitätsbegriff als
ein Ergebniss blosser Erfahrung, die andere als einen in der Natur des
Denkens begründeten, aber doch nicht ursprünglichen, sondern
abgeleiteten Begriff fasst.
Ich
behaupte nun, dass der Begriff der Causalität weder rein a priori
noch rein empirisch ist, sondern dass derselbe sich als eine
Folgerung aus zwei Prämissen ergibt, deren eine der
ursprüngliche Begriff a priori von dem eigenen Wesen der
Dinge ist, welcher in dem logischen Satze der Identität
_______
rung von
aussen undenkbar und unmöglich sei. II. Spencer (F. Princ. p.
32) sagt: „idea of a change without a cause, a thing of which no idea
is possible“. Noch bestimmter äussert sich Taine (Philosophes
francais, p. 69): „Il serait absurde ou contradictoire que la
resolution ayant contracte le muscle une premiere fois, elle ne put le
contracter une seconde fois, toutes les circonstances etant exactement
semblables . . . Il serait absurde qu’une loi de la nature etant
donnee, eette loi fut dementie.“ Dies wäre offenbar nur dann
absurd und widersprechend, wenn es selbstverständlich wäre,
dass ohne Ursache keine Veränderung geschehen kann. Endlich sagt Lewes
in seiner History of Philosophy (Proleg., pp. CV –
CVI) Folgendes: „To say that what has occured will occur again, will
occur allways“ is to say that „under precisely similar conditions
precisely similar results will issue.“ A is A and A
is A for evermore.... when we add that there is no proof of
the continuance of the observed order, we either deny that „A is A“, or
we silently change the proposition and say „if A becomes B, it
will no longer be A“; for, if the conditions continue
unchanged, the order must necessarily continue unchanged; if the
conditions alter, the order necessarily alters with them.“ Darnach
soll, wie man sieht, der Satz „keine Veränderung ohne Ursache“
ebenso selbstverständlich sein, wie der Satz „A ist A“,
ja, dasselbe wie dieser aussagen. Alle diese Denker haben offenbar die
richtige Ahnung davon, dass der Satz der Causalität in dem engsten
logischen Zusammenhang mit dem selbstverständlichen Satze der
Identität steht. Diesen Zusammenhang wollen wir jetzt
darlegen.
248
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
seinen
Ausdruck findet, die andere aber – die Thatsache der Veränderung,
welche lediglich aus Erfahrung erkannt werden kann. Die Verkennung
dieses Umstandes war, wie ich glaube, der Grund, warum alle bisherigen
Ableitungen und Beweise des Causalitätsgesetzes so lahm sind und
das zu Beweisende stets implicite voraussetzen. Die
Unzulänglichkeit dieser Beweise wurde schon von Reid (Essays
on the int. Pow. p. 347 – 8) bemerkt und von Kant (Kr. d. r.
Vft. S. 608) als eine allgemein anerkannte Thatsache hervorgehoben; und
seit jenen Zeiten ist darin kein Fortschritt gemacht worden.
Ehe ich
jedoch die Ableitung des Causalitätsbegriffs darzulegen versuche,
muss ich über die Fassung desselben bei verschiedenen Denkern
eingehender sprechen.
Man kennt
die meisterhafte Auseinandersetzung Hume’s über diesen
Gegenstand in seiner »Untersuchung über der menschlichen
Verstand.« Das Resultat, zu welchem er gekommen, ist, wie
bekannt, Folgendes: Eine Verbindung der Dinge und Erscheinungen ist uns
weder a priori gewiss noch aus Erfahrung erkennbar.
Das Einzige, was wir erkennen, ist ein beständiges
Zusammenvorkommen (conjunction) gewisser Facta. Aber die
Association unserer Vorstellungen, die Gewohnheit, diese Facta stets
zusammen vorzustellen, führt uns zu dem Glauben an eine Verbindung
(connexion) derselben und zu der Zuversicht, dass dieselben
auch in Zukunft stets zusammen vorkommen werden. Diesen Glauben
erklärt Hume für eine bloss subjective Thatsache ein
mehr als gewöhnlich »lebhaftes Gefühl« (Untersuchung
u. s. w. S. 46 – 7) und zeigt, dass derselbe keinen objectiven
Grund hat.*) Darnach
_______
*) Noch
ausführlicher als Hume hat diese Frage Th. Brown in
seiner Inquiry into the relation of cause and effect, 4 ed.
behandelt. Bro»n zeigt auch, dass die Erfahrung allein
keine Basis für die Gültigkeit der Induction darbietet. „When
we say, that B will follow A to morrow, because A
was followed by B to day, we do not prove that the future will
resemble the past, but we take for granted that the future is to
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
249
ist die
Gültigkeit des Causalitätsbegriffs und aller Induction
überhaupt in Frage gestellt. Denn wenn die Induction keinen
anderen Grund hat, als die Gewohnheit unseres Denkens, so kann sie
natürlich auch keine andere Gültigkeit haben, als diese, –
und die erstreckt sich selbstverständlich nicht über das
Subject hinaus. Unsere Gewohnheiten können über die Natur der
Dinge weder etwas ausmachen noch darin etwas ändern.*)
Die
neueren englischen Empiristen folgen Hume nicht in der
Aufrichtigkeit und Consequenz seines Denkens. Die Gültigkeit der
Induction aufzugeben, sind sie durchaus nicht geneigt. Und das mit
Recht. Denn damit würde alle Wissenschaft ihre eigentliche Basis
verlieren, ja das Leben selbst unmöglich werden. Wir müssen
doch in jedem Augenblick uns durch inductive Schlüsse von dem
Vergangenen auf das Gegenwärtige und Zukünftige leiten lassen
und denselben einen ganz ernstlichen Glauben schenken, wenn wir uns
nicht den grössten Unannehmlichkeiten und Gefahren aussetzen
wollen. Allein die erwähnten Denker wollen auch ihre
empiristischen Voraussetzungen nicht aufgeben und suchen daher die
Unfähigkeit dieser Voraussetzungen, für die Induction und die
Wissenschaft eine berechtigte, objectiv gültige Basis abzugeben,
entweder stillschweigend zu umgehen oder sogar dreist zu leugnen. Der
gründlichste Empirist unserer Zeit, Stuart Mill nähert
sich Hume am meisten. Er vermeidet es geflissentlich, von
einer Verbindung der Erscheinungen zu reden. Irgend eine Nothwendigkeit
in deren Succession
_______
resemble
the past“ (pp. 177 – 8 und weiter bis p. 182). Infolge dessen
nimmt Brown an, dass der Glaube an die Causalität ein
ursprüngliches Gesetz des Denkens sei: „We certainly do not
perceive power... and, as certainly do not discover it by reasoning....
The belief (in the uniformity) is in every instance intuitive.“ (p.
246).
*) St.
Mill sagt in einer Anmerkung zu dem Werke von James Mill
Analysis etc.
250
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
oder
Coexistenz gibt er ausdrücklich nicht zu. Dennoch aber hat er eine
»inductive Logik« geschrieben, schenkt also der Induction
vollkommenen Glauben. Was ist aber die Induction? Offenbar nichts, als
der Schluss, dass Dinge und Erscheinungen, welche in bekannten und
untersuchten Fällen einander stets begleitet haben, sich auch in
anderen, nicht untersuchten Fällen ähnlicher Art begleiten
werden. Allein ob man sagt, »Etwas wird werden«
oder »Etwas muss werden«, dies ist ganz einerlei.
Das sind zwei verschiedene Ausdrücke für dieselbe Behauptung.
Da ist schon Verbindung und Nothwendigkeit ausgesagt.
Schwächere
Denker werden in diesem Punkte positiv unklar und confus, ja wirbeln
mitunter eine solche Wolke von Verwirrung empor, dass man durch die
Masse der Widersprüche nur mit Mühe erspähen kann,
welches das eigentliche Missverständniss ist, in dem sie befangen
stecken. Was die deutschen Empiristen betrifft, so befinden sie sich
meistens noch im Stande der Unschuld. Das heisst, sie haben den Hume’schen
Abfall von der Seligkeit der sich selber vertrauenden Empirie noch
nicht mitgemacht; sie sind in den Sinn seiner Erörterungen und
Argumente noch nicht eingedrungen, finden es daher auch nicht
nöthig, dieselben nachdrücklich zu bekämpfen oder
für die Induction in den Daten der Erfahrung eine berechtigte
Basis nachzuweisen. Man sehe z. B. die folgende naive Aeusserung Herbart’s:
»Wir müssen das Band der Erscheinungen für ein
Gegebenes gelten lassen, wenn schon wir nicht begreifen können,
wie es könne gegeben sein.«*)
Die
Untersuchungen Hume’s über den Causalitätsbegriff
haben, wie man weiss, Kant zu seinem Unternehmen einer Kritik
der Vernunft angeregt. Es hat daher ein besonderes
_______
*) Lehrb.
z. Einl. S. 126. Zugleich hat sich Herbart nicht
geschämt, Hume einen „Witzling“ zu nennen, „der die
ernsthaftesten Fragen m Conversationstone abzumachen gedachte.“
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
251
Interesse,
Kant’s Lehre von der Causalität mit derjenigen Hume’s zu
vergleichen, welcher sie als eine bessere und höhere Auffassung
des Gegenstandes entgegengestellt wurde. Hume hat auf das
Lichtvollste und Unwiderleglichste dargethan, dass die blosse Erfahrung
keinen rationellen Grund für die Induction und unseren Glauben an
die Gültigkeit derselben darbietet. Nun ist aber dieser Glaube
durchaus nicht fort,– zuschaffen, und kein Mensch wird zugeben, dass
derselbe lediglich auf subjectiver Gewohnheit beruhe. Denn das heisst
eben, diesen Glauben verlassen und verleugnen, demselben alle objective
Gültigkeit absprechen, was gerade nicht möglich ist. Also
muss die Frage beantwortet werden: Woher kommt unsere Gewissheit von
einer Verbindung der Erscheinungen? Kant’s Kritik der reinen
Vernunft, wenigstens der erste Theil derselben, kann als ein Versuch
angesehen werden, diese Frage zu beantworten. Aber leider ist Kant dieser
Frage durch eine blosse Hypothese begegnet, durch die Annahme gewisser
Gesetze für die Verbindung der Erscheinungen im Subjecte selbst.
Für diese seine Annahme führt er keinen anderen Grund an, als
eben die Behauptung, dass ohne dieselbe die Verbindung der
Erscheinungen nicht erklärt werden könne. Doch habe ich hier
nicht die Lehre Kant’s im Allgemeinen, sondern bloss seine
Lehre von der Causalität zu untersuchen.
Erstens
nun hat nach Kant die Kategorie der Ursache oder der
Causalität an und für sich mit Veränderungen und
Successionen gar nichts zu thun. »Vom Begriffe der Ursache
würde ich in der reinen Kategorie nichts weiter finden, als dass
es so etwas sei, woraus sich auf das Dasein eines Anderen schliessen
lässt« (Kr. d. r. Vft. S. 254). Die Anwendung auf
gegebene Fälle soll das sog. Schema der Causalität
vermitteln. Dasselbe »besteht in der Succession des
Mannichfaltigen, insofern sie einer Regel unterworfen ist« (Eb.
S. 173). Andere Noologisten sagen einfach: »Das menschliche
Denken oder der menschliche Verstand besitzt eine angeborene Dis-
252
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
position,
zu allen Veränderungen Ursachen hinzuzudenken«, und das hat
wenigstens einen verständlichen Sinn. Aber welchen Sinn kann die
Annahme eines apriorischen Begriffs von Etwas, woraus sich auf das
Dasein eines Anderen schliessen lässt, haben? Das wäre doch
weiter nichts, als eine Einsicht in die Möglichkeit von
Schlussfolgerungen überhaupt, und wie könnte eine solche
Einsicht ursprünglich sein? Allein neben diesem undenkbaren
Begriffe soll noch das »Schema« von der Succession des
Mannichfaltigen, insofern sie einer Regel unterworfen ist, bestehen,
und zwar in einem Subjecte, welches noch von keinen Successionen irgend
etwas weiss. Und dazu sollen Kategorie und Schema ausdrücklich in
keinem logischen Zusammenhange mit einander stehen, sondern bloss durch
den Mechanismus des Denkens vermittelt oder verbunden sein, was jedoch
dasselbe Resultat hervorbringen soll, welches in der gewöhnlichen
Ansicht der Noologisten behauptet wird, nämlich die Nothwendigkeit
a priori, zu allen Veränderungen Ursachen
hinzuzudenken. Um diese Kant’schen Erfindungen begreiflich zu
finden, muss man stets den Umstand im Auge behalten, dass Kant das
menschliche Erkenntnissvermögen ausdrücklich als eine blosse
Maschine fasste, an welche keine logischen Forderungen gestellt werden
dürfen. Die Möglichkeit der Erfahrung ist nach ihm der
Grundzweck und das Grundgesetz dieser Maschine. Darauf zielt eben die
Erfindung der sog. »Schemata« ab, welche weiter nichts
besagt, als dass die Grundbegriffe des Verstandes sich gar nicht auf
die Wirklichkeit uud deren Erkenntniss, sondern lediglich auf eine
gewisse Anordnung und Verbindung des im Bewusstsein vorkommenden
Inhalts beziehen und dieser allein dienen sollen. Nach der Meinung Kant’s
nämlich kommen, wie schon erwähnt, »die
Wahrnehmungen nur zufälligerweise zu einander« (Kr. d. r.
Vft. S. 198); der Verstand ist es, der vermittelst seiner
Kategorien und anderen apriorischen Vorrichtungen dieselben unter
einander verbindet und zu einem System der Natur nach empirischen
Gesetzen umschafft.
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
253
Wir wollen
nun sehen, wie und was nach Kant’s Lehre die Kategorie der
Causalität mit Hülfe ihres Schema zur Möglichkeit und
zum Zustandekommen der Erfahrung beiträgt. Dieses ist in der
Kritik der reinen Vernunft in einer ziemlich langen Auseinandersetzung,
unter dem Titel Zweite Analogie der Erfahrung, dargelegt.
Der kurze
Sinn dieser Auseinandersetzung ist folgender. Unabhängig von der
Wahrnehmung kann nichts erkannt werden. Aber alle Wahrnehmungen sind
stets successiv. Also kann ich aus blosser Erfahrung nie erkennen, ob
eine Succession in den Objecten oder bloss in meiner Wahrnehmung
derselben sich zugetragen habe. Ja, ein erkennbares Object ist selbst
nichts Anderes, als ein »Inbegriff« meiner Wahrnehmungen,
welches »nur dadurch als das davon unterschiedene Object
derselben vorgestellt werden könne, wenn es unter einer Regel
steht, welche sie von jeder anderen Apprehension unterscheidet und eine
Art der Verbindung des Mannichfaltigen nothwendig macht »(Kr.
d. r. Vft. S. 210). Also sind objective Veränderungen nicht
allein nicht erkennbar, sondern überhaupt nicht möglich ohne
eine Regel des Verstandes, welche vorschreibt, was für
254
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
den Schlag
oder der Schlag auf den Tod, ob die Verdauung auf den Eintritt der
Nahrung oder umgekehrt u. s. w. Durch das Auffallende dieser Annahme
liess sich aber Kant durchaus nicht beirren; er wiederholte
sie recht con amore in verschiedenen Wendungen, so z. B. in
der folgenden Stelle: »In der Synthesis der Erscheinungen folgt
das Mannichfaltige der Vorstellungen jederzeit nacheinander. Hierdurch
wird nun gar kein Object vorgestellt..... Sobald ich aber wahrnehme
oder (?) im Voraus annehme, dass in dieser Folge eine Beziehung auf den
vorhergehenden Zustand sei, auf welchen die Vorstellung nach einer
Regel folgt; so stellt sich etwas vor als Begebenheit, oder was da
geschieht, d. i. ich erkenne einen Gegenstand« (Eb. SS.
214 – 5). Dieses »wahrnehme oder im Voraus
annehme« ist in der That köstlich; nur scheint es dem
gewöhnlichen Verstande, dass man Beziehungen des Successiven weder
wahrnehmen noch im Voraus annehmen, sondern nur aus dessen
unveränderlichem Aufeinanderfolgen inductiv erschliessen kann.
Doch es wäre offenbar überflüssig, eine solche Lehre
weiter zu kritisiren; ich lasse sie also bei Seite und bemerke hier nur
noch, dass ich die Frage darnach, wie objective Successionen von dem
bloss subjectiven Wechsel unserer Wahrnehmungen unterschieden werden
können, im 2. Bande erörtern werde.
Ich kann
2.
Ableitung des Causalitätsbegriffs.
Am Anfang
dieses Kapitels habe ich schon gezeigt, dass von vornherein nur zwei
Ansichten uber den Ursprung des
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
255
Causalitätsbegriffs
zulässig sind. Entweder ist derselbe aus Erfahrung geschöpft
oder er hat einen Grund a priori. Selbstverständlich ist
er aber in keinem Fall, und was seine objective Gültigkeit
betrifft, so steht diese ausser aller Frage. Leugnet man diese, so
verleugnet man alle Erfahrung. Aber die Erfahrung allein kann, wie
schon bemerkt, keine Verbindung der Erscheinungen verbürgen und am
allerwenigsten die Unveränderlichkeit einer Verbindung, d. h. eben
die ausnahmslose Gültigkeit des Causalitätsgesetzes. So lange
gegen die Argumente Hume’s keine besseren Einwendungen
vorgebracht worden sind, als die, welche wir schon kennen, muss dies
als feststehend anerkannt werden. Wer die Sache mit der nöthigen
Aufmerksamkeit betrachtet, muss nothwendig einsehen, dass triftige
Einwendungen dagegen überhaupt gar nicht aufzustellen sind. Doch
ich werde nicht wiederholen, was ich in dem gegenwärtigen Kapitel
und in dem 3. Kapitel des 1. Buches über diesen Gegenstand gesagt
habe. Wenn also unser Glaube an die Gültigkeit des
Causalitätsgesetzes einen rationellen Grund hat, so muss
das ein Grund a priori sein und es kommt nur darauf
an, diesen Grund nachzuweisen.
Dieser
Grund ist nun, wie ich glaube und nachzuweisen hoffe, kein anderer, als
der Regriff a priori, den wir von der eigenen, unbedingten
Beschaffenheit der Dinge haben und der in dem logischen Satze der
Identität seinen Ausdruck findet. Ursprünglich ist
bloss die Gewissheit, dass jedes Object an sich, seinem eigenen Wesen
nach mit sich selbst identisch ist. Aber aus diesem Satze folgt mit
offenbarer und unmittelbarer Consequenz die Gewissheit des
Causalitätsgesetzes.
Man wird,
wie ich hoffe, zugeben, dass »Identität mit sich« und
»Veränderung« zwei disparate Begriffe sind. Die
Veränderung bedeutet doch ganz entschieden eine Nichtidentität
oder Nichtübereinstimmung des sich Verändernden mit
ihm selber. Was sich ändert, das ist sich selbst nicht gleich, dem
ist weder seine frühere noch seine spätere Beschaffenheit,
wahrhaft eigen, weil der Zusprechung der einen sich die
256
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
andere
entgegensetzt. Das Veränderte ist nicht das, was es früher
gewesen, weil es eben anders geworden ist. Man kann aber auch nicht
sagen, dasselbe sei ausschliesslich das, was es jetzt geworden, weil es
ja früher anders gewesen ist. Ja, die Veränderung ist die
einzige Art, wie die Nichtidentität eines Daseienden mit sich in
der Anschauung selbst zum Ausdruck kommen kann. Jede andere Art
würde schon einen Widerspruch, also eine Unmöglichkeit
impliciren. Aber zwei disparate Bestimmungen bilden sofort einen
Widerspruch, wenn sie auf einen und denselben Gegenstand in einer und
derselben Hinsicht bezogen werden, wie z. B. in der Behauptung eines
viereckigen Kreises. Insofern also von einem Gegenstande Identität
mit sich selber behauptet oder prädicirt werden muss, muss
Veränderung von demselben gänzlich ausgeschlossen oder negirt
werden, wie auch umgekehrt dem sich Verändernden als solchem
Identität mit sich selber abgesprochen werden muss.
Ist es nun
a priori gewiss, dass an sich, seinem eigenen Wesen nach ein
jeder Gegenstand mit sich selber identisch ist, so ergibt sich daraus
mit unmittelbarer Consequenz die Folgerung, dass dem Ansich, dem
eigenen Wesen der Dinge alle Veränderung fremd ist und in
demselben nie angetroffen werden kann.
Ist aber
alle Veränderung dem unbedingten Wesen der Dinge fremd, so
bedeutet dies offenbar, dass alle Veränderung bedingt ist;
und das ist es gerade, was der Satz der Causalität aussagt: Keine
Veränderung ohne Ursache.
Man kann
den logischen Zusammenhang zwischen dem Satze der Causalität und
dem Grundgesetze unseres Denkens auch so darlegen:
Veränderung
ist Vereinigung des Verschiedenen. Wird z. B. ein rother Gegenstand
grün, so vereinigt er zwei verschiedene Qualitäten und zwar
in derselben Hinsicht (in Hinsicht der Farbe), wenn auch nur successiv,
in sich. Aber der negative Ausdruck unseres obersten Denkgesetzes, der
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
257
Satz vom
Widerspruch lautet in seinem vollen Umfang, wie wir wissen, so: Eine
unbedingte Vereinigung des Verschiedenen ist nicht möglich. Also
ist es a priori gewiss, dass keine Veränderung
unbedingt, d. h. ohne Ursache geschehen kann. Darum ist es
schlechterdings undenkbar, dass aus einem ruhenden Zustande (d. h aus
dem Zustande der Identität mit sich, welcher dem Wesen der Dinge
an sich eigen ist) eine Veränderung hervorgehen könnte. Damit
eine Veränderung eintritt, muss also vorher eine andere
Veränderung vorgefallen sein, die sie veranlasst, und so weiter
rückwärts ins Unendliche.
Hier sieht
man zugleich, warum es ein allgemeines Gesetz der successiven
Erscheinungen gibt, während ein solches für die
zugleichseienden nicht vorhanden ist. Der Grund davon ist der, dass die
Veränderung eben das einzige mögliche anschauliche
Merkmal der Nichtidentität mit sich und somit des Bedingtseins
ist. Die Verbindung oder das Band der Erscheinungen kann selbst nicht
wahrgenommen, kann in keiner Anschauung angetroffen, sondern nur
erschlossen werden. Wo nun kein Merkmal des Bedingtseins vorhanden,
welches in der Anschauung selbst gegeben ist, da kann der Schluss auf
eine Verbindung, einen Zusammenhang der Erscheinungen nur inductiv aus
deren häufigem Sichbegleiten gezogen werden. Es ist klar, dass ein
solcher Schluss auf kein schlechthin allgemeines, die ganze Natur
durchdringendes Gesetz führen kann, sondern nur zur Erkenntniss
besonderer Gesetze, welche bloss in einzelnen Classen der Erscheinungen
wirksam und gültig sind. Denn dabei fehlt es eben an einem
Merkmal, welches allen Classen und Arten gemeinsam wäre. Und
dieses ist bei den zugleichseienden Erscheinungen der Fall. Das
Zugleichsein bietet als solches kein schlechthin allgemeines
anschauliches Merkmal des Bedingtseins, da auch unbedingte,
selbstexistirende Gegenstände als zugleichseiend gedacht werden
können. Bleibt also nur der Schluss von dem steten
Zusammenvorkommen der Erscheinungen in bestimmten Gruppen
258
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
Causalität
hat noch das Eigenthümliche an sich, dass dessen Bestand durch die
Erfahrung sclechterdings nicht verbürgt werden kann. Denn, wie ich
im ersten Buche schon erwähnt habe, wenn es nur denkbar ist, dass
eine Veränderung ohne Ursache eintreten könne, so muss man
solche Veränderungen zu jeder Stunde und an jedem Orte erwarten.
Keine vorhandenen Bedingungen und Zustände könnten den
Eintritt solcher Veränderungen verhindern, weil eben dieselben
unabhängig von allen Bedingungen geschehen würden. Mit der
Gewissheit und Zuverlässigkeit des Causalitätsgesetzes
würde aber auch die Gültigkeit aller Induction überhaupt
untergraben sein. Denn welchen berechtigten, rationellen Grund haben
wir, auf die Unveränderlichkeit des Naturlaufs zu rechnen, wenn
uns nichts verbürgt, dass darin nicht eineauf einen Zusammenhang
derselben innerhalb dieser Gruppen, welcher Schluss eben bloss zur
Kenntniss der verschiedenen Arten von (chemischen) Substanzen
führt, nicht aber zur Erkenntniss eines allen Substanzen
gemeinsamen Gesetzes. Wo dagegen eine Veränderung sich ereignet,
da wissen wir, dass dieselbe an und für sich, ganz abgesehen von
der besonderen Beschaffenheit des sich Verändernden, ein Merkmal
der Nichtidentität desselben mit sich und somit seiner bedingten
Natur ist. Das Gesetz der Veränderungen gilt daher ganz allgemein,
ohne jede Rücksicht auf die Unterschiede der vorkommenden
Fälle, weil dasselbe eben auf das allen Fällen gemeinsame
Element der Veränderung als solcher sich bezieht.
Wäre
nun das Causalitätsgesetz bloss inductiv aus der Erfahrung
erkannt, aus dem Umstande, dass man zu den meisten Veränderungen
Ursachen gefunden hat, so würde dasselbe auf keine festere und
zwingendere Allgemeinheit und Gültigkeit Anspruch machen
können, als der Satz »alle Körper sind schwer«,
ja, kaum auf die gleiche. Denn ein Körper ohne Gewicht ist noch
nie in der Erfahrung vorgekommen, während es Ereignisse und
Erscheinungen gibt, deren eigentlichen Ursachen man nicht kennt. Allein
das Gesetz der
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
259
Veränderung
schlechthin, ohne Ursache sich ereignen und somit allen Zusammenhang
und alle Aehnlichkeit des Früheren mit dem Späteren
durchbrechen und aufheben könnte? Die blosse Erfahrung der
früheren Unveränderlichkeit kann offenbar dieses nie
verbürgen.
Ich muss
nur noch einige Bemerkungen über den hier geführten Beweis
des Causalitätsgesetzes hinzufügen. Dieser Beweis ist nicht
ein dogmatischer in dem Sinne, wie Kant dieses Wort verstanden
hat; denn er ist nicht aus lauter Begriffen a priori geführt.
Aber er ist dennoch ein sachlicher Beweis und hat zum Ausgangspunkte
den Begriff a priori, welchen wir von dem eigenen, unbedingten
Wesen der Dinge haben. An und für sich enthält zwar dieser
Begriff nicht die geringste Rücksicht auf irgend welche
Veränderungen. Der Satz »An sich ist ein jeder Gegenstand
mit sich selbst identisch« sagt nichts über
Veränderungen aus. Wird er aber mit der Thatsache der
Veränderung zusammengestellt, welche uns die Erfahrung aufdringt,
so ergibt sich unmittelbar aus diesen beiden Prämissen die
Folgerung, das alle Veränderung dem Ansich der Dinge fremd und
mithin bedingt ist.
Einige
glauben nun, dass, wenn in einer Demonstration ein empirisches Element
als Prämisse enthalten ist, die ganze Demonstration selbst eine
empirische sei.*) Allein dieses ist durchaus unrichtig. Wenn in einer
Ableitung empirische und apriorische Elemente zusammenvorkommen, so
sind gerade die apriorischen Elemente das bestimmende und befruchtende
Princip, welches der ganzen Ableitung seinen Charakter aufdrückt.
Das Empirische ist dann blosses Material, welches die Folgerungen
gleichsam nur empfängt, ohne sie zu erzeugen. So ist z. B. die
empirische Thatsache der Veränderung ein blosses Object, welches
darauf wartet, was wir von ihm
_______
*) Vgl. Baden-Powell’s
„Essay on the spirit of the inductive Philosophy“, London, 1855.
260
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
behaupten
werden. Müssten wir nun auf die Veränderung überhaupt
bloss aus den sie begleitenden Umständen Schlüsse ziehen, so
würde das eine Generalisation ergeben, welche mit der
Unzuverlässigkeit und der beschränkten Gültigkeit aller
bloss empirischen Generalisationen bchaftet wäre, selbst wenn wir
einen allen Veränderungen gemeinsamen Umstand in unserer Erfahrung
constatirt hätten. Denn erstens, kann das blosse Bestehen eines
Factums nie sein weiteres Fortbestehen verbürgen in einer Welt, wo
Veränderungen vorkommen, und zweitens, ist die Erweiterung der
Ergebnisse unserer thatsachlichen Erfahrung auf Gebiete, welche
ausserhalb derselben liegen, sehr precär und wird von den
consequenteren Empiristen selbst verurtheilt.*) Wenn wir dagegen
befähigt und befugt sind, aus einem Grunde a priori, also
ohne Rücksicht auf die endlose Mannigfaltigkeit der vorkommenden
Fälle, etwas über die Veränderung zu behaupten, so gilt
dieses eben ausnahmslos, so ergibt es ein Gesetz, welches gerade so
allgemein gültig ist, als wäre es aus lauter Begriffen a
priori abgeleitet. Was der apriorische Begriff hier für uns
leistet, ist, dass er uns in den Stand setzt, in der Mannigfaltigkeit
des Gegebenen eine Menge streng identischer Fälle mit
ursprünglicher Gewissheit anzunehmen. Die Identität dieser
Fälle muss zwar ein in der Erfahrung selbst gegebenes Merkmal
(nämlich hier eben die Veränderung selbst als solche) haben;
sonst würden wir sie gar nicht constatiren können, und
hätten also keinen Grund, von allen diesen Fällen etwas
Gemeinsames zu behaupten. Aber dass wir zu diesem gegebenen Merkmal
eine andere Bestimmung mit ausnahmsloser Gültigkeit hinzudenken
dürfen und müssen, das hat seinen Grund allein in dem
Begriffe a priori. Und da erst die Vereinigung zweier
Bestimmungen ein Gesetz ergibt, so liegt also
_______
*) Man
vergleiche in dem zweiten Bande von Mill’s Logik das Kapitel
über den „Beweis des Causalgesetzes“, wo Mill sagt, dass
es thöricht sein würde, mit Zuversicht zu behaupten, dass das
Causalitätsgesetz auch in entfernten Sternenregionen bestehe.
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
261
die
Bürgschaft des Gesetzes in dem Begriffe a priori und
nicht in irgend welchen empirischen Bedingungen. Die hier gegebene
Ableitung macht es allein begreiflich, wie uns das Gesetz der
Causalität a priori gewiss sein kann, ohne dass
wir irgend etwas von Veränderungen und von Causalität a
priori zu wissen brauchen.
3. Von
dem Unterschiede der gewöhnlichen und der wissenschaftlichen
Fassung des Causalitätsbegriffes.
Aus dem
Satze »Jede Veränderung hat ihre Ursache« fliessen
zwei Folgerungen, welche für die Wissenschaft von ganz
ausnehmender Wichtigkeit sind und dem Begriffe der Causalität erst
seine volle Bedeutung ertheilen. Diese sind:
1) Dass
die eigentliche Ursache einer Veränderung nur eine andere
Veränderung sein kann. Und
2) dass
alle Ursachen und Wirkungen unter einander nach Gesetzen
zusammenhängen, welche selbst keine Veränderung erleiden
können.
Die
gewöhnliche, unwissenschaftliche Fassung des
Causalitätsbegriffs unterscheidet sich von der wissenschaftlichen
darin, dass in ihr diese Folgerungen nicht gezogen und dem Begriffe
nicht einverleibt sind. Die Ableitung dieser Folgegerungen muss jetzt
mit Sorgfalt unterriommen werden.
Man ist
gewohnt, bei allem Wirken auch ein
262
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
das Eis,
befördert das Wachsthum der Pflanzen, macht die Gesichtsfarbe
braun, das Chlorsilber schwarz u. s. w. Die Verschiedenheit dieser
Wirkungen hängt offenbar von der verschiedenen Natur der
Gegenstände, auf welche eingewirkt wird, ab. Der zureichende Grund
davon, dass das Eis in der Sonnenwärme bei einer gewissen
Temperatur schmilzt, liegt nicht allein in der Wirkung der
Sonnenwärme, sondern ebensosehr auch in der Beschaffenheit des
Eises. Ein Stein z. B. würde dadurch unter denselben
Umständen nicht schmelzen. Aber man nennt nicht das Eis die
Ursache seines eigenen Sehmelzens, sondern bloss die Sonnenwärme.
Ebenso wird auch die Schwärze des den Sonnenstrahlen ausgesetzten
Chlorsilbers nicht als die Wirkung dieses letzteren selbst, sondern nur
als die Wirkung jener angesehen. Und das mit Recht. Denn unter der
Ursache einer Wirkung kann man nur dasjenige verstehen, was nicht
allein den zureichenden Grund ihrer Beschaffenheit, wenigstens zum
Theil, enthält, sondern vor Allein auch den Grund davon, dass die
Wirkung überhaupt entstanden, geworden, ins Dasein
getreten ist. Eine Ursache als solche ist vor Allem der Grund eines Geschehens,
einer Veränderung; was an dem Zustandekommen
von Veränderungen keinen Theil nimmt, kann nur aus
Missverständniss eine Ursache genannt werden.
Allein
dann ist es klar, dass die Ursache einer Veränderung nur eine
andere Veränderung sein kann und dass die Ursache nothwendig ihrer
Wirkung vorhergehen muss.
Dies wird
indessen selbst von wissenschaftlichen Denkern sehr oft verkannt.
Selbst unter solchen ist die Neigung verbreitet, unter den Ursachen
sich vorzugsweise beharrliche Objecte und Zustände zu denken und
das zeitliche Verhältniss der Aufeinanderfolge als eine für
die Causalität unwesentliche Bestimmung zu betrachten. Wir wollen
zunächst sehen, woher dieses Missverständniss kommt.
Der
gewöhnliche Ausdruck des Causalitätsgesetzes: »Alles,
was entsteht oder was geschieht, hat eine Ursache«, ist selbst
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
263
fehlerhaft.
Wenn man von dem spricht, was entsteht, so kommen zwei Dinge in
Betracht: Erstens, das Factum des Entstehens selbst, und
zweitens, die Beschaffenheit des Entstehenden. Aber das
allgemeine Gesetz der Causalität berührt nicht die
Beschaffenheit des Entstehenden; dasselbe bezieht sich ausschliesslich
auf die Thatsache des Entstehens oder der Veränderung selbst und
fordert, dass dieselbe eine Ursache habe; sonst könnte es eben
nicht allgemein sein, oder es wäre nicht das Gesetz der
Causalität, sondern irgend ein anderes. Durch das Herbeiziehen des
zur Sache nicht gehörenden Elements der Beschaffenheit des
Entstehenden oder sich Verändernden hat man nun die Auffassung der
Causalität so verfälscht, dass Dinge und Umstände,
welche an dem Zustandekommen der Veränderung als solcher gar
keinen Antheil haben, sondern nur die Beschaffenheit des
Sichverändernden mitbestimmen, für Ursachen der
Veränderung gehalten und erklärt werden.
Die
Einsicht, dass die eigentliche Ursache einer Verändnung nur eine
andere Veränderung sein kann, hat zwei Gründe, einen
metaphysischen oder speculativen und einen empirischen oder
naturwissenschaftlichen.
Der
metaphysische Grund ist der nämliche, auf welchem der
Causalitätsbegriff sdbst beruht, nämlich der Begriff a
priori, nach welchem alle Veränderung dem eigenen,
ursprünglichen Wesen der Dinge fremd ist, woraus folgt, dass die
Bedingung oder die Ursache einer Veränderung nie in der eigenen,
beharrlichen Beschaffenheit eines Dinges liegen, oder mit anderen
Worten, dass aus einem ruhenden Zustande nie eine Veränderung
hervorgehen kann. Das hatte Kant begriffen, und obgleich er
den Namen Ursache stets oder meistens Objecten oder Dingen beilegt, so
bemerkt er doch zugleich ausdrücklich Folgendes: »Die
Causalität der Ursache dessen, was geschieht oder ensteht, ist
auch entstanden und bedarf nach dem Verstandesgrundsatze
selbst wiederum eine Ursache« (Kr. d. r. Vft. S. 435).
Wenn man unter Ursache ein
264
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
Object
versteht, so muss der Wirkung dieser Ursache eine Veränderung in
der Ursache selbst vorangehen, wenn das Gesetz der Causalität
gültig sein soll, weil sonst der Uebergang der Ursache aus einem
ruhenden in einen thätigen Zustand ein Ereigniss ohne Ursache
wäre. Eine Ursache aber, welche selbst wiederum einer Ursache
bedarf, um ihre Ursächlichkeit zu entfalten, kann offenbar nicht
im strengen, eigentlichen Sinne des Wortes Ursache genannt werden.
Der
naturwissenschaftliche Grund besteht in der Thatsache, dass uns von
Causalität nichts gegeben und bekannt ist, als eine
Unveränderlichkeit, eine Gleichförmigkeit in der Succession
oder Aufeinanderfolge der Erscheinungen. Diesen Satz selbst zu
beweisen, halte ich nicht für nöthig, da derselbe, wie
früher erwähnt, von Anderen (von Hume und Brown)
schon gründlich bewiesen worden ist. Es ist nur zu verwundern,
dass so scharfsinnige Denker wie Brown und St. Mill nicht
bemerkten, welche Folgerungen in diesem Satze liegen. Mill spricht
sogar missbilligend von der »Tendenz, die Idee der
Ursächlichkeit (causation) eher mit dem nächst
vorhergehenden Ereigniss (event) zu associiren, als mit den
vorhergehenden Zuständen oder beständigen
Facten« (Log.
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
265
Ursächlichkeit
sich bloss auf Veränderungen als solche bezieht, und dann muss man
offenbar in der Consequenz weiter gehen und zugeben, dass die
eigentliche Ursache einer Veränderung nur eine andere
Veränderung sein kann. Die ausführliche Auseinandersetzung Mill’s
(siehe Log. 1. Bd. das Kap. über das
Causalitätsgesetz, § 3) darüber, dass nur das Ganse der
Antecedentien als die eigentliche Ursache eines Ereignisses betrachtet
werden darf, beruht auf der Verkennung des Folgenden: Auf jede
Veränderung folgt allezeit und allerorts nothwendig eine andere
Veränderung, und zwar unter gleichen Umständen immer
dieselbe; wie auch umgekehrt nirgends eine Veränderung erfolgen
kann, ohne dass vorher eine andere sich ereignete, auf welche sie stets
unter denselben Umständen folgt. Wie die nachfolgende
Veränderung beschaffen ist, das ist freilich durch die
beharrlichen Zustände, in welchen sie sich ereignet, mitbedingt
und mitbestimmt, so dass die Wirkung derselben Veränderung unter
verschiedenen Umständen sehr verschieden ausfallen kann. Da aber
das blosse Erfolgen oder Sichereignen der Veränderungen als
solches von ihrer Beschaffenheit unabhängig ist und die
Causalität oder Ursächlichkeit sich ausschliesslich auf
Veränderungen als solche bezieht, so ist die Beschaffenheit der
Wirkungen und Ursachen für die allgemeine Auffassung der
Causalität gleichgültig. *)
Man muss
demnach einen naturwissenschaftlichen und einen philosophischen
Gebrauch des Wortes »Ursache« unterscheiden. Die
Naturwissenschaft, der es daran gelegen ist, die gegebenen Gesetze der
Erscheinungen zu erforschen, zu erkennen, welche Consequenzen
aus gegebenen Antecedentien
_______
*) Es
macht mir Vergnügen, zu constatiren, dass Mill in der
letzten von ihm verfassten Schrift, seinem Essay über Theismus
sich zu der richtigen Ansicht in diesem Punkte bekannt hat. Dort sagt
er Folgendes: „The cause of every change is a prior change; and such it
cannot but be; for if there were no new antecedent, there would not be
a new consequent“ (Three Essays on Religion, London, 1874, p.
143).
266
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
folgen,
muss unter der Ursache einer Wirkung das Ganze, die Summe ihrer
Antecedentien verstehen. Denn die Beschaffenheit der Antecedentien
bedingt die Beschaffenheit der Consequenzen. Dagegen kann die
Philosophie, welche bloss das allgemeine Causalitätsgesetz zu
betrachten und zu begründen hat, unter Ursachen nur
Veränderungen verstehen, weil das Causalitätsgesetz nur darin
besteht, dass jede Veränderung durch eine andere vorhergehende
bedingt ist.
Dass eine
Ursache in diesem letzteren, eigentlichen Sinne vor ihrer Wirkung
nothwendig vorhergehen muss, ist selbstverständlich. Denn in ihrem
beständigen Vorhergehen besteht eben ihre Ursächilchkeit oder
Causalität. Wenn Ursachen und Wirkungen zugleieh sein
könnten, so würde, wie Schopenhauer richtig bemerkt
hat, die ganze Kette der Causalität, die ganze Reihe von Ursachen
und Wirkungen zugleich vorhanden und also von einer Succession
überhaupt keine Rede sein.
Jetzt noch
eine Bemerkung. Wenn man auch nicht immer Objecte selbst als Ursachen
denkt, so will man doch wenigstens die beharrlichen Kräfte, welche
in der Natur wirksam sind, vorzugsweise als Ursachen fassen. So ist z.
B. nach diesem Wortgebrauch die Gravitation der Materie die
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
267
Diese
irrthümliche Auffassung kommt daher, dass man gewöhnt ist,
die Kraft selbst als etwas Individuelles, als Eigenschaft einzelner
Körper oder Objecte zu denken, während es doch klar ist, dass
keine Kraft einem Objecte an sich, sondern nur in dessen
Verhältnissen mit anderen Objecten zukommen kann, dass also die
Kraft nicht eine Eigenschaft der einzelnen Dinge als solcher ist,
sondern vielmehr dasjenige, was die verschiedenen Dinge und
Erscheinungen mit einander verbindet und sich eben in den Gesetzen
ihrer Verhältnisse offenbart. Unter einer Kraft versteht man eben
dasjenige, was macht, dass Veränderungen eines Gegenstandes nach
einem beständigen Gesetze von Veränderungen eines anderen
Gegenstandes begleitet werden und dass eine Erscheinung
unveränderlich auf eine andere folgt.
4.
Fortsetzung des Vorhergehenden.
Die zweite
Folgerung, welche aus dem Satze der Causalität sich ergibt, ist
die, dass Ursachen und Wirkungen mit einander nach
unveränderlichen Gesetzen zusammenhängen.
Wenn in
dem Verhältnisse einer Ursache zu ihrer Wirkung selbst eine
Veränderung eintritt, wenn Wirkungen aus Ursachen nicht erfolgen,
aus welchen sie früher einmal oder mehrmals erfolgt waren, oder
wenn umgekehrt, Ursachen Wirkungen hervorbringen, die sie früher
nicht hervorgebracht haben, so kann diese Veränderung nur auf
zweifache Weise gedacht werden: Entweder hat sie selbst eine Ursache
oder sie hat keine. Die letztere Annahme widerspricht nun dem Satze
»keine Veränderung ohne Ursache« und muss folglich
verworfen werden. Die erstere aber bedeutet, dass das Verhältniss
der betreffenden Ursachen und Wirkungen nicht unbedingt, sondern durch
anderweitige Umstände mitbestimmt, also vermittelt ist, d. i. kein
ursprüngliches, sondern ein bloss abgeleitetes Causalgesetz
ausdrückt.
268
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
Wenn die
Nahrung, welche einem Menschen im gesunden Zustande Kräfte gibt,
auf ihn in Krankheiten schädlich wirkt, so hat diese
veränderte Wirkung ihre Ursache in der veränderten
Beschaffenheit seines Organismus. Wenn ein Stück Siegellack,
welches lange Zeit unter Papierschnitzeln gelegen hat, ohne sie
anzuziehen, nach der Reibung dieselben anzieht, so hat diese
veränderte Wirkung ihre Ursache ebenfalls in der veränderten
Beschaffenheit des Siegellacks. Es ist kein ursprüngliches
Naturgesetz, dass die Einführung von Nahrungsmitteln in einen
Körper demselben Kräfte geben sollte. Diese Wirkung wird
durch das Zusammenwirken mehrerer Ursachen hervorgebracht, deren jede
einem ursprünglichen Gesetze gehorcht. Und im zweiten Beispiele
ist es keine ursprüngliche Eigenschaft der Substanz des
Siegellacks, Papierschnitzel anzuziehen; diese Fähigkeit kommt
demselben bloss zu, wenn er durch Reibung electrische Eigenschaften
erhalten hat. Aber diese erfolgen auf die Reibung nothwendig. So werden
die Keppler’schen Gesetze von den Himmelskörpern theils befolgt,
theils (in den sog. Perturbationen) nicht befolgt; aber sowol die
Befolgung wie die Nichtbefolgung derselben geschicht in Gemässheit
eines ursprünglichen Gesetzes, nämlich desjenigen der
allgemeinen Gravitation der Körper. Solche Fälle abgeleiteter
Causalität lassen sich also stets auf ein Zusammenwirken mehrerer
Ursachen, welche ihr Product gegenseitig modificiren,
zurückführen. Aber jede Ursache wirkt nach einem
unwandelbaren Gesetze, welches unabänderlich bestimmt, welche
Wirkungen aus ihr allein hervorgehen müssen. Könnte in diesem
ursprünglichen, unvermittelten Verhältnisse zwischen Ursache
und Wirkung eine Veränderung eintreten, so müsste sie ohne
Ursache erfolgen. Denn eine Ursache dabei voraussetzen heisst eben, wie
gezeigt, das Verhältniss selbst als ein bloss vermitteltes und
abgeleitetes ansehen. Die Unwandelbarkeit der ursprünglichen
Causalgesetze zeigt sich auch in complicirteren Fällen darin, dass
unter gleichen Umständen dieselben Ursachen stets dieselben
Wirkungen hervorbringen.
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
269
Hätte
eine Ursache oder ein Complex von Ursachen jetzt diese und später
unter sonst gleichen Umständen eine andere Wirkung erzeugt, so
würde das eine Veränderung in dem Verhältnisse dieser
Ursache zu ihren Wirkungen sein, welche selbst ohne Ursache geschehen
wäre. Dann wäre also dieses Verhältniss selbst gesetzlos.
Aus dem
Satze »keine Veränderung ohne Ursache« folgt mithin,
dass dieselben Ursachen unter gleichen Umständen stets dieselben
Wirkungen hervorbringen müssen, oder dass Ursachen und Wirkungen
mit einander durch gemeinsame Gesetze verknüpft sind, welche
selbst unveränderlich sind. Diese Gesetze lassen sich
natürlich aus dem Satze der Causalität nicht ableiten; wenn
aber dieser Satz feststeht, so gibt er uns die Gewissheit a priori,
dass es solche Gesetze geben muss, und dass alles
Geschehen denselben nothwendig unterworfen ist.
Das sind
nun die höchst wichtigen Folgerungen, welche der gemeine Verstand
aus dem Causalitätsbegriffe nicht zieht und nicht beachtet. Kein
Verstand kann, selbst der thierische nicht, eine Veränderung ohne
Ursache denken. Aber die unabänderliche Natur des
Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkun, die
Gesetzmässigkeit ihrer Verbindung leuchtet ihm gar nicht ein, weil
er eben die Consequenzen seines eigenen Begriffs nicht kennt, ja sogar
den Weg zu dieser Kenntniss versperrt findet. In dem gemeinen
Bewusstsein werden nämlich, wie schon bemerkt, unter Ursachen
stets Dinge oder Gegenstände verstanden, welche durch ihre
Einwirkung andere Gegenstande modificiren. Aber ein Ding ist dem
Begriffe nach selbstexistirend oder unbedingt. Daher die Neigung des
gemeinen Bewusstseins, die Wirksamkeit der Ursachen sich an keine
Gesetze gebunden zu denken. Dazu kommt noch die Disposition, die
unvollkommene Erfahrung seines eigenen Wesens zu generalisiren, auf
andere Dinge zu übertragen. Da wir nun von den Getzetzen unseres
eigenen Wesens, unserer Willensregungen und Handlungsmotive oft am
allerwenigsten
270
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
wissen, so
sind wir auch bereit, darin eine vollkommene Gesetzlosigkeit anzunehmen
und dieselbe auch anderen Gegenständen zuzuschreiben.
Kurz, zu
jeder wahrgenommenen Veränderung eine Ursache vorauszusetzen, ist
auch für den gemeinen Verstand unausbleiblich; aber einzusehen,
dass auch in der Ursache selbst keine Veränderung ohne Ursache
geschehen kann, dazu ist der gemeine Verstand schon zu
schwerfällig; so weit kann er sich von dem unmittelbar Gegebenen
nicht entfernen. Dagegen ist für die Wissenschaft das
Causalitätsgesetz gerade als Bürge und Ausdruck der
Gesetzmässigkeit und Unveränderlichkeit der Naturordnung
wichtig. Unter Ursachen werden in der Wissenschaft nicht
Gegenstände verstanden, welche auf andere einwirken, sondern
Ereignisse und Veränderungen, welche beständige Antecedentien
anderer Ereignisse und Veränderungen sind. Der Zusammenhang von
Ursachen und Wirkungen, die Gesetze ihrer Verbindungen ist eben das
Einzige, was die Wissenschaft erforschen will.
5.
Verification der oben gegebenen Ableitung des Begriffs der
Causalität.
Nunmehr
sind wir im Stande einzusehen, wie die Folgerung, welche aus dem Satze
der Causalität selbst sich mit logischer Nothwendigkeit ergibt,
die Richtigkeit seiner oben gegebenen Ableitung aus dem Satze der
Identität bestätigt.
Aus dem
Satze »keine Veränderung ohne Ursache« folgt es, wie
gezeigt worden, dass die Verhältnisse von Ursachen und Wirkungen,
die Gesetze ihrer Aufeinanderfolge selbst unveränderlich sind. Was
besagt nun demnach der Satz der Causalität im eigentlichen Sinne?
Offenbar dieses:
Dass die
Natur, bei aller Veränderung im Einzelnen, doch im Allgemeinen (d.
i. im Zusammenhange, in der gesetzmässigen Verbindung des
Einzelnen) sich selbst stets gleich bleibt.
So macht
sich der Satz der Identität in dem Satze der
Ableitung
des Causalitätsbegriffes.
271
Causalität
geltend. Die Unveränderlichkeit der Gesetze ist die einzige Art,
wie Identität mit sich in der mit fremden Elementen durchwirkten
Welt selbst zur Geltung kommen kann. Diese Identität mit sich ist
keine unbedingte, jede Relativität und jede Veränderung
ausschliessende, wie sie dem Wesen der Dinge an sich eigen ist, aber
sie steht doch mit dieser letzteren in dem engsten logischen
Zusammenhang. Wäre der Satz der Causalität nicht gültig,
d. h. könnte es ein Entstehen aus Nichts, ein unbedingtes
Geschehen geben, dann würde auch der Satz der Identität nicht
gültig sein. Denn Veränderung (also das Gegentheil
von Identität mit sich) würde dann eben die eigne,
unbedingte Qualität des Wirklichen sein. Und umgekehrt,
wäre der Satz der Identität nicht gültig, wäre
nicht das eigene Wesen der Dinge mit sich selbst identisch, dann
könnte es ein unbedintges Geschehen, d. i. Veränderungen ohne
Ursache geben. Eben darum, weil dem unbedingten Wesen der Dinge alle
Veränderung fremd ist, weil dessen Grundbestimmung Identität
mit sich, also das Gegentheil der Veränderung bildet, ist alle
Veränderung bedingt. Und umgekehrt, eben darum, weil in der
veränderlichen Welt Alles im Einzelnen bedingt ist, von
Ursachen abhängt, bleibt sie im Allgemeinen, in ihrer
Gesetzmässigkeit sich selbst stets gleich, widerspricht also nicht
dem Satze der Identität.
Auf diesem
Umstande, dass die Natur, bei aller Veränderung im Einzelnen, sich
im Allgemeinen stets gleich bleibt, beruht nun, wie man weiss, die
Gültigkeit aller Inductionen, aller Schlüsse von dem
Vergangenen auf das Gegenwärtige und Zukünftige. Auf der
Gewissheit dieses Umstandes beruht also die Gewissheit der Inductionen.
Aber die Gewissheit dieses Umstandes kann nie durch blosse Erfahrung
verbürgt sein, wie ich es schon an mehreren Stellen
ausführlich gezeigt habe. Dieselbe beruht, wie es jetzt, durch die
oben gegebene Ableitung augenscheinlich geworden ist, auf der
ursprünglichen Gewissheit des obersten Denkgesetzes, welches in dem
272
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
Satze der
Identität seinen Ausdruck findet. Dieses Gesetz enthält den
rationellen Grund unseres Glaubens an die Gültigkeit der Induction.
Zu den im
vorigen Buche gelieferten Beweisen aus Erfahrung für die
Gültigkeit unseres obersten Denkgesetzes ist nun auch der aus der
allgemeinen Herrschaft des Gesetzes der Causalität sich ergebende
hinzugekommen, und somit die Reihe der eignen Zeugnisse der Erfahrung
zu Gunsten unseres Denkgesetzes geschlossen. Die Relativität der
empirischen Objecte, die Natur der Veränderung selbst, deren
durchgängige, durch die Erfahrung bestätigte Bedingtheit und
endlich die Natur unserer Schmerz- und Unlustgefühle, das sind so
viele gewichtige Stimmen, mit welchen die Erfahrung selbst die Wahrheit
unseres Denkgesetzes verkündigt und dessen eigne unmittelbare
Gewissheit verstärkt. Welche Einsicht kann grössere, oder
auch nur gleich grosse Bürgschaften ihrer Richtigkeit aufweisen?