DRITTES
KAPITEL.
BEWEIS DES
OBERSTEN DENKGESETZES:
I) AUS DER
RELATIVITAET DER EMPIRISCHEN OBJECTE.
1. Sinn
und Gehalt des obersten Denkgesetzes.
Nunmehr
kommen wir an den Kern und Schwerpunkt des
vorliegenden Werkes, an die Auseinandersetzung des fundamentalen
Gesetzes des Denkens und die Beweise desselben, welche die Erfahrung
selbst bietet. Schon einige male habe ich erwähnt, dass das
Grundgesetz des Denkens ein Begriff von dem unbedingten Wesen der Dinge
ist, d. h. die innere Nothwendigkeit, etwas von dem unbedingten Wesen
der Dinge zu glauben. Um den Sinn und Inhalt dieses Glaubens zu fassen,
ist es nun vor Allem nöthig, zu untersuchen, was Bedingtsein
überhaupt bedeutet; eine Untersuchung, welche keine
Schwierigkeiten bietet, da wir dabei bloss analytisch zu verfahren, aus
dem Kreise unserer Begriffe nicht herauszugehen brauchen.
Bedingtsein
ist einfach Abhängigkeit von einer
Bedingung und eine Bedingung kann man ihrerseits nicht anders
definiren, denn als etwas von dem etwas Anderes abhängt. Alles Bedingtsein implicirt daher nothwendig eine
Beziehung, eine Relation auf Anderes.
Kann man
nun diesen letzteren Satz auch umkehren und sagen, dass alle
Relativität nothwendig ein Bedingtsein implicire und bedeute?
Möglicherweise
ist dem in der That so; zuerst müssen
186 Zweites
Buch. Drittes Kapitel.
wir aber sorgfältig hervorheben und uns
klar machen, dass Bedingtsein und Relativität von Hause aus nicht
ein Begriff, sondern zwei verschiedene Begriffe sind.
Es ist
schon manchmal die Ansicht ausgesprochen worden, die Erkenntniss und
ihre Objecte könnten ursprünglich und ihrem ganzen Wesen nach
sich aufeinander beziehen, so dass weder dem Subjecte noch den Objecten
irgend etwas zu Grunde liegt, was in dieser ihrer gegenseitigen
Beziehung nicht mit inbegriffen ist. Ob eine solche Beziehung wirklich
denkbar ist oder nicht, ist eine andere Frage; aber falls eine solche
Beziehung zwischen der Erkenntniss und ihrem Objecte bestände, so
würde die Natur dieser beiden zwar wesentlich eine relative – denn
dieselben würden eben nur in Relation zu einander bestehen
können – aber keine im eigentlichen Sinne bedingte sein. Das
Subject würde dann mit unbedingter und uneingeschränkter
Wahrheit die Objecte gerade so erkennen, wie sie an sich sind, und
umgekehrt würde das Ansich, das eigene Wesen der Objecte nicht von
ihrer Auffassung im Subjecte abhängen (was ein wirkliches
Bedingtsein ausmachte) sondern von Hause aus mit derselben eins sein.
Was ursprüng1ich, seinem eigenen und ganzen Wesen nach zu einander
gehört, das kann man nicht als
verschiedene Gegenstände einander entgegensetzen, sondern das ist
vielmehr ein und derselbe in sich gegliederte und
unterschiedene Gegenstand. Den metaphysischen Denkern ist diese Vorstellung sehr geläufig.
Meistentheils denkt man sich die »Absolute Einheit« oder
die »Erste Ursache« als ein
Gebilde, in dem Vielfaches unterschieden werden kann, welches also
nothwendig zu einander in enger Beziehung steht. Aber man denkt dieses
Verschiedene in dem Einen nicht als ein
Bedingtes wegen seiner gegenseitigen Relativität, sondern sieht
vielmehr umgekehrt in demselben die Natur des Unbedingten oder
Absoluten selbst.*)
_______
*) Nach Spinoza
z. B. sollte das Unbedingte die Attribute von Denken und Ausdehnung
und noch viele andere, uns unbekannte enthalten. Der
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
187
Welche Art
von Beziehung oder Relation constituirt nun
also ein Bedingtsein?
Nur wenn
zwei Gegenstände einander von Hause aus fremd sind, wenn
sie nicht ursprünglich ihrem eigenen Wesen nach ein Object bilden,
nicht Momente einer und derselben Einheit sind, nur dann ist die
Abhängigkeit des einen dieser Gegenstände von dem anderen ein
wirkliches Bedingtsein. Nehmen wir unsere
eigene innere Erfahrung zur Erläuterung dieser Einsicht.
Entschliesse ich mich selbst zu einer Thathandlung, so sagt man, ich
handle oder bin frei, d. h. insoweit unbedingt; ist mir aber dieselbe
Handlung von Anderen vorgeschrieben oder überhaupt durch
äussere Einflüsse aufgezwungen und nothwendig gemacht, so bin
ich dadurch gebunden, in meinen Entschlüssen bedingt,
abhängig und unfrei. Eine Einschränkung, die ich mir selber
auferlege, ist keine Einschränkung; kommt sie dagegen von Anderen
her, die nach meinen Wünschen nicht fragen, so fühle ich
dieselbe als einen wirklichen Zwang, als eine gegebene Bedingung,
welcher sich mein Verhalten fügen muss.
Wenn nun
zwei Gegenstände ihrem innersten Wesen nach einander fremd sind und der eine dennoch von dem anderen
abhängt, so bildet offenbar diese Abhängigkeit ein dem
dadurch bedingten Gegenstande fremdes Element, welches in
demselben liegt. Bedingtsein bedeutet also im eigentlichen Sinne nichts
Anderes, als das Vorhandensein eines
fremden Elements in dem betreffenden Dinge. Eine Bedingung, welche
zu dem eigenen Wesen eines Dinges gehört, ist
überhaupt keine Bedingung. Denn man kann sie von dem Dinge selbst
_______
landläufigen Ansicht
gemäss soll das Unbedingte seiner selbst sich bewusst sein, also
in ein Subject und ein Object des Selbstbewusstseins zerfallen. Ein
phantasiereicher Schriftsteller der Gegenwart, Herr E. v. Hartmann hat
in dem „Unbewussten“, welches er für das Unbedingte hält,
sogar einen „Willen“ und eine „Vorstellung“ entdeckt, welche sich als
selbständige Mächte geriren, mit einander kämpfen und
doch Eigenschaften eines und desselben Gegenstandes sind.
188
Zweites Buch. Drittes
Kapitel.
nicht
unterscheiden und diesem nicht entgegensetzen, a1s Etwas, zu dem das
Ding in einer Beziehung der Abhängigkeit stände. Ein
Gegenstand also, welcher von keinen anderen Bedingungen abhängt, als nur von solchen, die in seinem eigenen Wesen
liegen, ist ganz und gar nicht bedingt. Denn er würde eben nur von
sich selber abhängen, d. h. mit anderen Worten, gar nicht
abhängig sein.
Nach dem
Obigen ist es also ein analytischer,
selbstverständlicher Satz, dass das eigne Wesen der Dinge
nothwendig unbedingt ist, dass folglich die Begriffe
»Ding an sich« und »Unbedingtes«
gleichbedeutend sind, in eines zusammenfallen.
Diese
Einsicht ist von der höchsten
Wichtigkeit. Dieselbe implicirt nichts weniger als
eine vollkommene Revolution in der Auffassung des Verhältnisses
zwischen dem Unbedingten und dem Bedingten. Dieses Verhältniss
darf man nun nicht mehr, wie gewöhnlich, als dasjenige von Grund
und Folge denken, sondern muss es vielmehr als das Verhältniss von
»Ding an sich« und »Erscheinung« fassen,
welches von dem zwischen Grund und Folge bestehenden radical
verschieden ist und in den nachfolgenden Theilen dieses Werkes
ausführlich und allseitig erörtert werden wird.
Wir
brauchen nun die oben gewonnene analytische Einsicht neben die in der
3. Formel des Satzes vom Widerspruch enthaltene Aussage zu stellen, um
sofort zu ersehen, dass diese Formel eine Behauptung über das
eigne, unbedingte Wesen der Dinge ist, welcher zufolge diesem letzteren
alle Relativität, alle Vereinigung des Verschiedenen fremd ist.
In dem
vorigen Kapitel haben wir gefunden, dass die gewöhnliche Formel
des Satzes vom Widerspruch, die noch keine Behauptung über die
Natur realer Gegenstände enthält, uns mit Nothwendigkeit zur
2. Formel desselben führt, welche schon nicht mehr blosse Regel
für die Urtheile, sondern auch eine bestimmte Aussage über
die Natur realer Dinge ist. Die zweite
Formel hat sich ihrerseits nur als ein
besonderer
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
189
Fall der
dritten erwiesen, welche letztere zwar nicht mehr als
Regel für die Urtheile gebraucht werden kann, dafür aber der
uneingeschränkte Ausdruck einer unmittelbar gewissen Einsicht in
die Natur der Dinge ist. Diese 3. Formel
lautet, wie wir wissen so:
Verschiedenes
kann nicht an sich, als solches eins und
dasselbe sein,
oder mit
anderen Worten:
Eine
unbedingte Vereiniguug des Verschiedenen ist
nicht möglich.
Dass
dieser Satz selbstverständlich ist und
gar nicht in Zweifel gezogen werden kann, das wird gewiss Jedermann
zugeben. Aber man wird leicht geneigt sein, denselben für eine
blosse Trivia1ität, für eine Binsenwahrheit zu halten, da er
nicht, wie die anderen Formeln des Satzes vom Widerspruch, als Regel
für die Urtheile dienen kann und auf den ersten Blick auch nichts
für das gewöhnlichste Bewusstsein Neues auszusagen scheint. Nunmehr sehen wir aber, dass dieser Satz etwas für
das gewöhnliche Bewusstsein durchaus Neues und Unerwartetes
aussagt. Denn wir brauchen ihn nur neben die analytisch
erreichte Einsicht, dass
das eigene
Wesen der Dinge nothwendig unbedingt ist und darum bloss unbedingte
Eigenschaften haben kann
zu stellen,
so ergibt sich aus diesen zwei Prämissen mit unmittelbarer
logischer Consequenz, welche selbst dem schwächsten Intellect
einleuchten wird, die Folgerung, dass
in dem
eignen, unbedingten Wesen der Dinge gar keine Vereinigung des
Verschiedenen möglich ist.
Das ist der Sinn des obersten Denkgesetzes. Alle
Annahme einer Vielfältigkeit und Relation in der Natur eines
unbedingten Gegenstandes, also die sämmtlichen gewöhnlichen
Ansichten über das Unbedingte werden dadurch mit einem Male
beseitigt. Als vollkommen gewiss
dürfen wir annehmen, dass ein unbedingter Gegenstand weder Denken
und Ausdehnung, noch Vorstellung und Willen oder sonst was Anderes
190
Zweites Buch. Drittes
Kapitel.
in seiner
Einheit vereinigen, noch in ein Subject und ein Object des
Selbstbewusstseins zerfallen kann. Die Herrschaft der Phantasie, welche
sich nur in den Combinationen des Verschiedenen bethätigen kann,
wird somit von dem Gebiete der Philosophie vollständig
ausgeschlossen. Wer dichten will, der kann es zwar auch ferner thun,
aber er maasse sich nicht an, seine Dichtungen für Wissenschaft
auszugeben.
Der
eigentliche Ausdruck der oben constatirten Einsicht muss so lauten:
Seinem
eignen, unbedingten Wesen nach kann ein Gegenstand in seiner Einheit
keine Unterschiede enthalten.
Aber die
Abwesenheit innerer Unterschiede in einem Dinge heisst mit anderen
Worten Identität dieses Dinges mit sich selbst. Was
in dem angeführten Satze auf negative Weise ausgedrückt ist, hat mithin den folgenden positiven Ausdruck:
In seinem
eigenen, unbedingten Wesen ist ein jeder
Gegenstand mit sich selbst identisch.
So sind
wir auf einem Umweg wieder zu dem Satze der Identität gekommen und
können nunmehr constatiren, dass die Sätze der Identität
und des Widerspruchs der positive und der negative Ausdruck einer und
derselben Einsicht sind. Um dieses vollkommen klar
zu machen, diene die folgende Betrachtung.
Denken wir
uns einen unbedingten Gegenstand A, dessen Wesen aus zwei
Eigenschaften a und b besteht, so ist A sowohl
a als b und nichts als a und b. Da
aber a und b von einander verschieden sind, so
würde mithin der Gegenstand A, soweit er die Eigenschaft a
ist, von sich selber, soweit er die Eigenschaft b ist,
verschieden sein. Achten wir nun vornehmlich auf die zwei
verschiedenen Eigenschaften a und b, so sehen wir,
dass, da beide in diesem Falle das ursprüngliche Wesen eines und
desselben Gegenstandes ausmachen, also von Grunde und Hause aus eins
sein würden, ihr Verhältniss nichts Anderes, als eine unbedingte
und un-
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
191
vermittelte Vereinigung
des Verschiedenen sein würde. Denn die Eigenschaft a müsste
eben in diesem Falle an sich, ihrem eignen Wesen nach, also gerade so
weit sie diese Eigenschaft a ist,
zugleich auch b sein und b auf gleiche Weise a. Die
folgenden Sätze sind folglich vollkommen gleichbedeutend:
Eine
unbedingte Vereinigung des Verschiedenen ist
nicht möglich – und
Kein
Gegenstand kann von sich selbst verschieden sein.
Der
letztere Satz ist aber ganz offenbar bloss
die negative Fassung des Satzes:
In seinen
eignen, unbedingten Wesen ist ein jeder
Gegenstand mit sich selbst identisch.
Ich sage
ausdrücklich: »in seinem eignen, unbedingten Wesen«.
Denn eine bedingte Vereinigung verschiedener Eigenschaften in
einem Object ist nicht ein Unterschied
dieses Objects von sich selber, d. h. nicht das contradictorische
Gegentheil des Satzes der Identität. Bis jetzt war
in Allem lediglich von der unbedingten Natur der Dinge die Rede.
Es ist überraschend und doch factisch unzweifelhaft, dass die
einzige selbstverständliche Einsicht, die wir haben, nämlich
die Einsicht, welche in den Sätzen der Identität und des
Widerspruchs zum Ausdruck kommt, sich lediglich auf das unbedingte
Wesen der Dinge bezieht. Dies kann nach den vorhergehenden
Erörterungen fuer niemand unklar bleiben, nichtsdestoweniger will
ich zeigen, wie man auch von dem Satze der
Identität ausgehend zu dem gleichen Ergebnisse kommt.
Identität
eines Dinges mit sich selbst bedeutet Abwesenheit innerer Unterschiede
in demselben. Dagegen
bedeutet das Bedingtsein eines Gegenstandes, wie oben gezeigt worden,
seine Abhängigkeit von einem anderen, fremden Dinge, also das
Vorhandensein eines fremden Elements in ihm. Aber das Vorhandensein
eines fremden Elements in dem Gegenstande würde offenbar einen
inneren Unterschied in ihm ausmachen. Identität eines Gegenstandes
mit sich selbst implicirt also – als das
contradictorische Gegentheil des inneren Unterschieds,
192
Zweites Buch. Drittes
Kapitel.
– nothwendig dessen unbedingte, unabhängige,
in sich abgeschlossene und auf sich selbst beruhende Natur.
Der Satz
»ein jeder Gegenstand ist mit sich selbst identisch«
bezieht sich also ebenso offenbar, wie der Satz »Verschiedenes
kann nicht an sich, als solches (ohne
Bedingung und Vermittlung) eins und dasselbe sein« auf das eigne,
unbedingte Wesen der Dinge. Beide sind
verschiedene Ausdrücke, der eine positiv, der andere negativ einer
und derselben Einsicht, welche selbstverständlich, unmittelbar
gewiss, durch sich selbst evident ist. In welchem logischen
Verhältniss diese Einsicht zu den Objecten der Erfahrung steht,
das werden wir weiter unten ausführlich erörtern; aber deren
unmittelbare Gewissheit lässt keinen Zweifel an dem Umstand zu,
dass dieselbe ein ursprüngliches Gesetz des Denkens
verkörpert, welches in dessen eigner Natur wurzelt und dessen
Functionen beherrscht. Dies wird auch factisch
dadurch bestätigt, dass wir im 1. Buche dargethan haben,
wie namentlich die Erkenntniss der Körperwelt nur auf Grund eines
Gesetzes des Denkens entstehen kann, welches uns nöthigt, einen
jeden Gegenstand an sich als eine Substanz zu fassen. Dies ist eben das Gesetz des Denkes, welches in den
Sätzen der Identität und des Widerspruchs zum Ausdruck kommt.
Denn die besagten Sätze beziehen sich auf das eigene, unbedingte
Wesen der Dinge.
Das Vorhandensein
dieses Gesetzes dürfen wir mithin als
eine Thatsache betrachten, welche gar keinem Zweifel unterliegt; aber
die Frage nach dessen objectiver Gültigkeit bleibt
nichtsdestoweniger immer noch offen.
Es ist nicht ganz undenkbar, dass wir von Natur
disponirt und genöthigt wären, etwas zu glauben, das nicht
objectiv wahr ist, dass unser Denken von einem Gesetz beherrscht
wäre, welchem ausserhalb des Denkens, also in der Wirklichkeit
nichts entspricht. Kant hat, wie man weiss, in der That die Gesetze des Denkens für solche
bloss subjective Normen, ohne objective Gültigkeit gehalten. Und
noch nach-
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
193
drücklicher als die
Ansicht Kant’s verweist uns auf diese Möglichkeit die im
1. Buche constatirte Thatsache, dass die auf Grund unseres Denkgesetzes
von uns erkannte Körperwelt in Wahrheit nicht ausser uns selbst
existirt. Diese Thatsache ist wohl geeignet, uns an
der Gültigkeit unseres Denkgesetzes irre zu machen. Wo können wir aber, wird man hier vielleicht
fragen, die Mittel und Wege finden, das Grundgesetz unseres eignen
Denkens zu controliren und zu verificiren? Diese Mittel bietet uns die
Erfahrung. Die Erfahrung muss selbst ein nicht misszuverstehendes,
unzweifelhaftes Zeugniss für die objective Gültigkeit unseres
Denkgesetzes ablegen, ehe wir an diese mit
Gewissheit g1auben dürfen. Und die Erfahrung
thut’s. Wenn ich vorhin alle abweichenden Ansichten über
die Natur des Unbedingten mit Zuversicht abgewiesen habe, so geschah es
nur darum, weil ich Beweise aus der Erfahrung selbst für die
objective Wahrheit unseres Denkgesetzes anführen kann. An diese Beweise wollen wir jetzt gehen.
2. Beweis
für die objective Gültigkeit des obersten Denkgesetzes.
Bis jetzt
haben wir uns auf dem rein logischen Gebiete bewegt, bloss mit unseren
eignen Begriffen operirt, ohne die Natur der gegebenen Objecte in
Betracht zu ziehen. Denn es handelte sich um die Constatirung und
Auseinandersetzung unseres eignen Denkgesetzes, welches durch die Natur
der empirischen Objecte nicht afficirt wird. Jetzt aber, wo es sich
darum handelt, die objective Gültigkeit dieses Gesetzes zu
prüfen, müssen wir unsere Blicke auf die Welt der Erfahrung
richten, um ihre allgemeinen Charakterzeichen und deren logisches
Verhältniss zu dem Grundgesetze unseres Denkens zu constatiren.
Wir haben
zwei Ausdrücke dieses Grundgesetzes constatirt, einen positiven,
den Satz der Identität, welcher so lautet:
194
Zweites Buch. Drittes
Kapitel.
An sich ist
ein jeder Gegenstand mit sich selbst identisch
und einen
negativen, den Satz des Widerspruchs, welcher in seiner allgemeinsten
Form so lautet:
Eine
unbedingte Vereinigung des Verschiedenen ist
nicht möglich
und dabei
gesehen, dass in beiden Ausdrücken das Gesetz des Denkens sich auf
das eigne, unbedingte Wesen der Dinge bezieht.
In dem
logischen Verhältniss des Widerspruchs zu unserem
Denkgesetze steht nun jeder Satz, der eine unbedingte Vereinigung des
Verschiedenen behauptet, aber auch nur ein Satz, der eine unbedingte
Vereinigung des Verschiedenen behauptet. Darum ist
auch nur die Behauptung einer unbedingten Vereinigung des Verschiedenen
in sich selbst logisch widersprechend.
In vollkommener
logischer Uebereinstimmung mit dem Grundgesetze unseres Denkens
steht nur dasjenige, was dem Satze der Identität conform, d. h.
mit sich selbst vollkommen identisch ist, oder mit anderen Worten, gar
keine Vereinigung des Verschiedenen enthält.
Würde
die Erfahrung eine unbedingte Vereinigung des Verschiedenen bieten, so
würde sie in ihrem Wesen selbst logisch widersprechend sein und zu
unserem Denkgesetze im Verhältniss des Widerspruchs stehen. Dann
würden wir in die Alternative gestellt sein, entweder die
Gültigkeit unseres Denkgesetzes zu leugnen oder
das Zeugniss der Erfahrung zu verwerfen. Denn
diese beiden würden sich dann gegenseitig ausschliessen.
Stimmte dagegen die Erfahrung mit unserem Denkgesetze logisch
überein, so würden in ihr nur Objecte zu finden sein, welche
mit sich selbst vollkommen identisch sind,
mit anderen Worten, die Erfahrung würde nirgends Vereinigung des
Verschiedenen bieten. Aber schon der erste, oberflächlichste Blick
auf die Beschaffenheit der empirischen Objecte zeigt, dass keins von
beiden der Fall ist. Die nähere
Untersuchung wird uns lehren, dass die Erfahrung überall
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
195
Vereinigung
des Verschiedenen bietet, dass aber diese in ihr nirgends und niemals
eine unbedingte und unvermittelte ist.
Die Welt
der Erfahrung zerfällt in eine äussere und eine innere, oder nach den Gegenständen bezeichnet, in
eine Welt der Körper und eine Welt der Geister oder Seelen. In
beiden muss das oben Behauptete nachgewiesen werden.
Ein jeder
Körper hat, wie man weiss, mehrere Eigenschaften; aber diese
Eigenschaften sind in ihm nicht unmittelbar
eins. Wenn ein Körper zugleich roth, rund, süss, schwer und
hart ist, so ist in ihm das Rothe nicht selbst, als solches süss,
und das Süsse nicht an sich, unmittelbar rund oder schwer, sondern
der Körper ist roth in seinem Verhältniss zum Gesichtssinn,
dagegen süss in seinem Verhältniss zum Geschmackssinn, schwer
in seinem Verhältniss zur Erdmasse u. s. w. Die Vielheit von
Eigenschaften ist also in einem Körper durch seine Beziehungen zu
anderen Dingen vermittelt und bedingt. So kann z. B. ein Körper,
ohne das Licht und das sehende Auge, wohl noch hart und schwer sein;
aber er ist dann nicht mehr roth und
überhaupt nicht farbig und sichtbar. Wenn wir uns eine
Körperwelt denken, in welcher keine Attraction oder
Gravitation herrschte, so würde der Körper zwar eine Figur,
Farbe, Consistenz u. s. w. haben, aber ohne das Gewicht. Und so ist es mit allen Eigenschaften des Körpers
bewandt. Isoliren wir in Gedanken einen einzelnen Körper von allen
anderen Gegenständen, so können wir in demselben gar keinen
Grund zu einer Vielheit und Verschiedenheit der Eigenschaften mehr
finden. Denn Alles, was wir in einem Körper unterscheiden, sind einzig und allein die verschiedenen Arten
und Weisen, wie er sieh zu unserer Wahrnehmung und zu anderen
Körpern verhält.
Aber wir
brauchen im Grunde von Körpern, als
wirklichen Gegenständen hier nicht zu reden. Denn es ist oben bewiesen worden, dass das, was wir
factisch als eine Körperwelt erkennen, unsere eigenen
Sinnesempfindungen sind. Gibt es wirkliche Dinge ausser uns, so liegen
sie natürlich
196
Zweites Buch. Drittes
Kapitel.
auch
ausserhalb unserer Erfahrung und brauchen also hier, wo es sich um das
Zeugniss der Erfahrung selbst handelt, nicht in Betracht gezogen zu
werden. Die factische Grundlage des Körpers aber, die
Sinnesempfindungen, die wir als dessen Eigenschaften erkennen, sind von
einander ganz und gar verschieden und stehen nur durch ein gemeinsames
Gesetz untereinander in Verbindung, welches macht, dass dieselben stets
zusammen angetroffen werden.
Dasselbe ist nun auch mit Allem der Fall, was wir in uns
selbst, in unserer inneren Erfahrung vorfinden. Unabsehbar ist die Mannigfaltigkeit von Vorstellungen,
Neigungen, Fähigkeiten, Bedürfnissen, Aspirationen und
anderem inneren Besitzthum, welches ein einzelnes Ich in sich
vereinigt. Aber diese Vereinigung des Mannigfaltigen ist keine unbedingte; das Verschiedene in einem
Ich ist niemals unmittelbar, als solches eins und dasselbe. Dieses
wollen wir an einem besonders prägnanten Fall
zeigen.
In der
ganzen Welt der Erfahrung gibt es keine innigere Vereinigung des
Verschiedenen, als diejenige, welche die
Einheit von Subject und Object in unserem eignen Selbstbewusstsein
bietet. Ich erkenne
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
197
der Welt
überhaupt. Auch diese entzieht sich unserer
Wahrnehmung und kann nur durch Induction erschlossen werden,
während eine unbedingte Einheit des Verschiedenen in und mit
diesem letzteren selbst gegeben sein würde. Die Einheit
unseres Ich brauchen wir nun zwar nicht erst zu erschliessen, aber
dieselbe ist uns auch nicht als ein fertiges Object gegeben, sondern
wir bringen sie gleichsam stets von Neuem selbst hervor, indem wir in
dem Umkreis der Erfahrung Einiges (vor Allem unsere Gefühle der
Lust und Unlust) als unsere eignen Zustände erkennen,
während wir Anderes darin (nämlich die Empfindungen der
äusseren Sinne) als eine uns fremde Welt äusserer
Gegenstände wahrnehmen.
Ueber
diese Materie werde ich im 2. Bande des
vorliegenden Werkes mehr zu reden haben. Hier war es bloss nöthig,
zu zeigen, dass sogar die Einheit unseres Selbstbewusstseins, also,
wenn man so sagen darf, die einheitlichste Einheit, welche in der Welt
der Erfahrung vorkommt, dennoch keine unbedingte und unvermittelte ist,
also nicht gegen den Satz des Widerspruchs verstösst, mit anderen
Worten, mit dem Grundgesetze unseres Denkens in keinem Widerspruch
steht.
Die
Erfahrung enthält aber auch keinen Gegenstand, der mit diesem
Gesetze übereinstimmte. Denn wie wir sowohl an den Körpern
wie an den Geistern oder den Ichs gesehen haben, zeigt sie überall
Vereinigung des Verschiedenen, welche das Gegentheil von Identität
mit sich ist.
Die
Gegenstände der Erfahrung sind also
weder mit sich selbst identisch, noch auch in sich selbst logisch
widersprechend, und stehen zu dem Grundgesetze unseres Denkens weder im
Widerspruch noch in Uebereinstimmung. Das logische Verhältniss
beider zu einander ist das der Nichtübereinstimmung,
so wie die Natur der empirischen Gegenstände als Nichtidentität
mit sich bezeichnet werden muss.
Was
für Folgerungen ergeben sich nun aus diesem 1ogischen
Verhältniss der Erfahrung mit dem Grundgesetze
198
Zweites Buch. Drittes
Kapitel.
unseres Denkens?
Ein aufmerksamer Leser hat die nächsten Folgerungen schon
durchschaut, aber wir müssen nichts destoweniger die Ableitung
derselben hier methodisch darlegen.
Aus den
zwei Prämissen:
A). In seinem eignen Wesen ist ein jeder Gegenstand
mit sich selbst identisch
oder negativ
ausgedrückt,
In dem
eignen, unbedingten Wesen der Dinge ist
eine (also unbedingte) Vereinigung des Verschiedenen nicht
möglich. Und
B) Kein
Gegenstand der Erfahrung ist mit sich
selbst identisch
oder anders
gesagt,
Die
Erfahrung bietet überall Vereinigung des Verschiedenen, aber keine
unbedingte, dar,
ergibt
sich unmittelbar zuerst die erkenntniss-theoretische Folgerung, dass in
dem Satze der Identität ein Begriff von dem (eignen) Wesen der
Dinge ausgedrückt ist, welcher nicht aus Erfahrung stammen kann,
da er mit der Beschaffenheit derselben nicht übereinstimmt.
Dies stand
schon früher ausser Frage, da die logischen Sätze der
Identität und des Widerspruchs unmittelbar gewiss,
selbstverständlich sind und der in
ihnen ausgedrückte Begriff auch der nicht aus Erfahrung stammenden
Erkenntniss der Körper zu Grunde liegt. Jetzt wird dies durch das
Zeugniss der Erfahrung selbst bestätigt.
Zweitens
ergibt sich aus jenen Prämissen ebenso unmittelbar die
ontologische Folgerung, dass
die Erfahrung
uns die Dinge nicht so zeigt, wie sie an sich, ihrem eignen,
unbedingten Wesen nach (dem
Begriffe a priori gemäss) beschaffen sind
mit anderen
Worten, dass
die Erfahrung
Elemente enthält, welehe dem Wesen der Dinge an sich fremd sind.
Wir
müssen demnach zwei verschiedene Seiten der Wirk-
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
199
lichkeit
unterscheiden, welche zwei verschiedene Gebiete derselben ausmachen:
Einerseits das eigne, mit sich selbst identische Wesen der Dinge, auf
welches sich die Aussage unseres Denkgesetzes bezieht, – das Gebiet des
Unbedingten – und andrerseits die empirische Darstellung der Dinge, wie
Kant es nannte, die »Erscheinung«, welche nichts
Unbedingtes enthält, – also das Gebiet des Bedingten.
Das ist
die fundamentale Einsicht, welche Allem, was ich hier vorbringen werde,
durchweg zu Grunde liegt, und welche, wie ich schon erwähnt habe,
eine Revolution der gewöhnlichen Denkweise implicirt.
Nunmehr
sehen wir auch, wie die Erfahrung gerade infolge ihrer
Nichtübereinstimmung mit dem Grundgesetze unseres Denkens für
die objective Gültigkeit dieses letzteren selbst Zeugniss ablegt.
Dieses
Zeugniss legt die Erfahrung dadurch ab, dass in ihr eben Alles bedingt
ist, dass in ihr jeder Gegenstand und
jeder Bestandtheil eines Gegenstandes mit anderen Gegenständen
nach gemeinsamen Gesetzen in Verbindung steht, ohne mit ihnen eins zu
sein. Denn das Bedingtsein eines Gegenstandes bedeutet, wie wir wissen,
das Vorhandensein von Elementen in ihm, welche dem Wesen der Dinge an
sich fremd sind. Die bedingte Vereinigung
des Verschiedenen, wie sie in der Relativität der empirischen
Objecte, in deren innerer Verbindung nach gemeinsamen Gesetzen
vorliegt, ist demnach ein unzweifelhaftes Zeichen dessen, dass die
Erfahrung Elemente enthält, welche dem Wesen der Dinge an sich
fremd sind. Damit bestätigt also die Erfahrung die Aussage unseres
Denkgesetzes.
Dieses
wird noch besser erhellen aus den folgenden Betrachtungen.
Unsere
Sinnesempfindungen erkennen wir als eine
äussere, uns fremde Welt. Obgleich nun dieselben in Wahrheit keine
äussere Welt bilden, so sind sie doch
unzweifelhaft unserem individuellen, subjectiven Wesen fremd (s. oben
S. 125 ff); aber
200
Zweites Buch. Drittes
Kapitel.
ihrem Dasein
nach hängen sie von uns, den erkennenden Subjecten ab, denn sie
können nirgends ausser uns bestehen. Zugleich hängen wir aber
unsererseits von Bedingungen ab, welche in dieser uns fremden, als etwas Aeusseres erkannten Welt liegen. Solche
Bedingungen sind die Luft und die Nahrung, welche wir zu unserem
Bestehen brauchen, unsere Gliedmassen und unsere ganze leibliche
Organisation, die wir nicht als einen Bestandtheil unseres eignen,
inneren Wesens erkennen können, wie es im 2. Bande
dargethan wird.*) Hier haben wir also eine Abhängigkeit des
Fremden von dem Fremden, welche das Bedingtsein constituirt.
Auch die
Sinnesempfindungen selbst sind ihrer Natur
nach einander fremd. Die weisse Farbe des Zuckers z. B. enthält in
ihrem Wesen nichts von dem süssen Geschmack desselben, beide sind
also einander fremd, und doch hängen sie nach einem gemeinsamen
Gesetz zusammen, so dass, unter gleichen Umständen, wenn die eine
gegeben ist, auch der andere wahrgenommen werden kann.
Denselben
Charakter hat auch mein Verhältniss zu anderen Menschen. Auch
diese muss ich in ihrer empirischen Beschaffenheit als
mir von Hause aus fremd ansehen. Ich kann weder andere Menschen als
einen Theil meiner selbst noch mich selbst als einen Theil Anderer
denken, und doch hänge ich wesentlich von Anderen ab. Ohne meine
Eltern wäre ich nicht entstanden; ohne die Pflege und die
Unterweisung, die ich in der Jugend genossen, zu keiner leiblichen und
geistigen Entwicklung gelangt und würde auch jetzt ohne die
Gesellschaft und Cooperation anderer Menschen nicht bestehen
können, da ich ausser Stande bin, alles zu meinem Leben
Nöthige selbst zu produciren.
Durch
diese Betrachtungen wird es, wie ich hoffe, fühl-
_______
*) In dem Kapitel, betitelt „
Beweis des
obersten Denkgesetzes.
201
bar
gemacht, dass in die Welt der Erfahrung etwas eingewoben ist, das dem
Wesen der Dinge an sich fremd ist, nämlich die Relativität
der empirischen Objecte, die (bedingte) Vereinigung des Verschiedenen,
die wir in der Welt der Erfahrung allenthalben antreffen. Dies ist nun aber gerade der Glaube, der uns durch das
Grundgesetz unseres Denkens eingegeben wird. Diesem Gesetze zufolge
kann in dem eigenen Wesen der Dinge keine Vereinigung des Verschiedenen
vorkommen, ist also die Relativität
der Natur der Dinge an sich fremd. So legt die
Erfahrung selbst ein Zeugniss für die objective Gültigkeit
unseres Denkgesetzes ab. In dem Umstande,
dass die Erfahrung nie dem Grundgesetze unseres Denkens widerspricht
(d. h. nirgends und niemals eine unbedingte Vereinigung des
Verschiedenen bietet), liegt das negative Zeugniss derselben zu Gunsten
dieses Gesetzes. Der Umstand aber, dass die Beschaffenheit der
empirischen Objecte gerade diesen Charakter des Bedingtseins, der
Abhängigkeit des Fremden von dem Fremden hat, enthält das
positive Zeugniss derselben zu Gunsten unseres Denkgesetzes.
Zum klaren
Verständniss des obigen Verhältnisses und der hier
darüber vorgebrachten Auseinandersetzungen, ist
es aber durchaus unentbehrlich, den fundamentalen Unterschied zwischen
einer unbedingten Vereinigung des Verschiedenen, welche eine
unmittelbare, in der eigenen Natur desselben liegende ist, und der bedingten
Vereinigung des Verschiedenen, welche eine blosse Verbindung
desselben nach gemeinsamen Gesetzen ist, stets im Auge zu behalten. Die
Verkennung dieses Unterschiedes hat einige achtbare Denker, welche in
manchen Punkten auf dem richtigen Wege waren, stark irregeleitet.
In erster
Linie ist hier Herbart zu erwähnen, der unzweifelhaft das
Bewusstsein besass, dass der Satz der Identität eine an sich
gewisse Einsicht in das eigne, unbedingte Wesen der Dinge
ausdrückt, dass mithin alle Vereinigung des Verschiedenen der
Natur der Dinge an sich fremd und
202
Zweites Buch. Drittes
Kapitel.
die Annahme
einer solchen darin logisch widersprechend ist. Aber Herbart zog
daraus die unüberlegte Folgerung, dass alle Vereinigung
des Verschiedenen logisch widersprechend sei und darum aus unserer
Auffassung der Dinge weggeschafft werden müsse. Unüberlegt
nenne ich diese Folgerung, weil dieselbe von der Annahme ausging, dass
alles Wirkliche mit dem Grundgesetze unseres Denkens
übereinstimmen müsse, d. h. dass es in der Wirklichkeit nur
Dinge an sich, unbedingte und mit sich selbst identische Objecte, wie Herbart
sie nannte, »einfache Reale« geben könne. Damit hat Herbart über die Erfahrung
selbst etwas a priori ausmachen wollen, und ein
solches Beginnen ist offenbar verkehrt. Wohl dürfen wir glauben,
dass die Erfahrung dem Grundgesetze unseres Denkens nicht widersprechen
werde, wenn auch dies ohne das Zeugniss der Erfahrung selbst nie
vollkommen gewiss sein kann; aber a priori annehmen,
dass die Erfahrung mit diesem Gesetze vollkommen übereinstimmen
müsse, heisst ja die Erfahrung selbst a priori construiren
wollen, und das geht nicht wohl an. So sehen wir denn auch, dass die
Erfahrung mit dem Grundgesetze unseres Denkens durchgängig nicht
übereinstimmt, ohne ihm zu widersprechen. Denn
sie bietet überall Vereinigung des Verschiedenen dar, aber keine
unbedingte, welche letztere allein logisch widersprechend wäre.
Das Unternehmen Herbart’s, die Erfahrung dem Begriffe a
priori gemäss zu berichtigen, beruhte daher auf einem
Missverständnisse. Die Widersprüche, welche Herbart in
den Begriffen der Erfahrung entdeckt hatte, wie der Widerspruch in dem
Begriffe eines Dinges mit mehreren Eigenschaften, in dem Begriffe der
Veränderung u. ähnl., sind denn auch in der That gar keine
Widersprüche, soweit es sich um den Inhalt der Erfahrung selbst,
um gegebene, bedingte Objecte und Verhältnisse handelt. Ein Körper
mit mehreren Eigenschaften würde allerdings logisch
widersprechend sein, aber nur darum, weil
der Körper seinem Begriffe nach unbedingt ist und die Vereinigung
des Verschiedenen in ihm mithin auch
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
203
eine
unbedingte sein müsste.*) Dagegen ist die factische Grundlage des
Körpers, der Complex von Empfindungen, den wir als einen
Körper erkennen, nicht logisch widersprechend, weil er nur eine
bedingte Vereinigung des Verschiedenen ist, und dieser letztere ist
allein ein wirklicher Gegenstand in der Erfahrung. Widersprechend
würde auch eine Veränderung ohne Ursache sein, weil sie eine unbedingte Vereinigung des
Verschiedenen wäre. Aber eine
Veränderung ohne Ursache kommt eben in der Wirkliehkeit nicht vor.
Dagegen enthält eine durch Ursachen herbeigeführte
Veränderung keinen Widerspruch und verstösst nicht gegen das
Grundgesetz unseres Denkens, eben weil sie
bedingt ist, also nicht in dem Gebiete der Wirklichkeit liegt, auf
welches sich die Aussage unseres Denkgesetzes bezieht.
Ein
ähnliches Versehen, wie Herbart, aber von ganz anderen
Voraussetzungen ausgehend, hat in neuerer Zeit Sigwart begangen.
Auch Sigwart unterscheidet nicht zwischen einer unbedingten
und einer bedingten Vereinigung des Verschiedenen und das hat ihn zu
der Ansicht geführt, dass die Logik keine Regeln über die
Unverträglichkeit von Vorstellungen angeben könne und nie
über eine blosse Beschreibung der factisch gegebenen
Unverträglichkeiten hinausgekommen sei (Logik, I, S.
142). »Es liesse sich eine Einrichtung unseres Gesichtssinnes
denken«, sagt Sigwart, »bei der wir dieselbe
Fläche in verschiedenen Farben leuchten sähen, wie sie ja Licht verschiedener Brechbarkeit aussendet,
gerade wie wir in einem Klang versehiedene Obertöne, in
_______
*) Es ist auch logisch widersprechend, unsere
Sinnesempfindungen (wie die des Gesichts, des Geschmacks u. ähnl.)
für Eigenschaften äusserer Dinge zu halten. Aus diesem
zweifachen Grunde ist denn auch die naturwissenschaftliche Theorie
bestrebt, die letzten Bestandtheile der Materie als einfach in ihrer
Qualität vorzustellen und alle Mannigfaltigkeit der physikalischen
Erscheinungen aus deren Bewegungen zu erklären. Darüber wird ausführlicher ein Kapitel des 2.
Bandes handeln.
204 Zweites Buch. Drittes Kapitel.
einem Accord die einzelnen Klänge
unterscheiden, es ist rein factisch, dass die Farben als Prädicate
derselben Lichtquelle unverträglich sind, die verschiedenen
Töne als Prädicate derselben Tonquelle nicht« (Eb. S. 135).
Wenn die
Logik keine Rechenschaft von diesem Unterschiede geben könnte, so
müsste sie aus der Reihe der Wissenschaften gestrichen werden.
Gibt es nichts schlechthin Undenkbares, dann gibt es auch keine Logik
und überhaupt keine Wissenschaft, sondern nur eine tastende
Orientirung des Geistes an den gegebenen
Erscheinungen, ohne dass er einen rationellen Grund für seine
Folgerungen und Erwartungen angeben könnte. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben ein Gesetz des
Denkens, welches uns etwas (nämlich
eine unbedingte Vereinigung des Verschiedenen) schlechthin undenbar
macht. Dieses Gesetz ist daher das Princip
aller Wissenschaftlichkeit oder aller Gewissheit in unserem Wissen.
Dies in Hinsicht der inductiven Folgerungen nachzuweisen, wird sich
später Gelegenheit bieten; hier dagegen will ich bloss zeigen, wie
unser Denkgesetz die Unverträglichkeit der Farben fordert und die
Veträglichkeit der Töne zulässt.
Die
Farben werden nämlich als
Eigenschaften der Körper, wahrgenommen, die Töne die dagegen
bloss als Empfindungen in uns, welche durch Körper bewirkt sind.
Dieser Unterschied ist allerdings in der
factischen Einrichtung der besagten Empfindungen begründet. Aber
diese Einrichtung einmal constatirt, sagt unser Denkgesetz a priori
aus, dass zwei Farben, wie roth und grün, nicht an demselben
Punkte eines Körpers vereinigt werden können, weil diese
Vereinigung dann eine unbedingte sein müsste, weil dann das Rothe
selbst grün und das Grüne roth sein würde, was
widersprechend ist. Dagegen ist die
Vereinigung verschiedener Töne in einem Accord keine unbedingte.
Die verschiedenen Töne sind darin
nicht unmittelbar eins. Als blosse
Empfindungen können dieselben überhaupt in kein unbedingtes
Verhältniss gerathen. Also ist die Vereinigung von Tönen nicht
widersprechend und
Beweis des
obersten Denkgesetzes. I.
205
verstösst nicht
gegen das Grundgesetz unseres Denkens. Es gibt folglich einen
logischen, rationellen Grund, warum einige Prädicate
unverträglich sind, andere dagegen
nicht, und dieser Grund liegt in dem fundamentalen Gesetze unseres
Denkens.