ZWEITES KAPITEL.

DIE LOGISCHEN GESETZE.

1. Der Satz der Identität.

Man pflegt als ersten Grundsatz der Logik den sogenannten Satz der Identität hinzustellen, welcher so ausgedrückt wird: »Ein jedes ist, was es ist« oder »ein Jedes ist sich selbst gleich«. Aber es herrscht merkwürdigerweise über die Bedeutung dieses so einfachen Satzes keine Uebereinstimmung unter den verschiedenen Denkern. Denn Einige glauben, dass dieser Satz sich auf die Wirklichkeit bezieht, etwas über die Natur derselben aussagt, während Andere, und zwar vielleicht die Meisten, den Satz für nichtssagend halten. Es kann Einem indessen doch wunderlich vorkommen, dass man etwas Nichtssagendes, als solches erkennend, dennoch als erstes Princip des Denkens und der Wissenschaft anführt. Etwas Nichtssagendes sollte man in der Wissenschaft gar nicht erwähnen, denn es gibt bloss ein müssiges Gerede. Allein man glaubt, dass dieser nichtssagende Satz für das Denken unentbehrlich sei, ja dass aus demselben sogar Einiges gefolgert werden könne, ohne dass er aufgehört hätte, nichtssagend zu sein.

Zuerst will ich nun bemerken, dass die Formel »Ein Jedes ist, was es ist« nicht die nöthige Präcision hat. Denn es geschieht ja oft, dass uns etwas nicht das zu sein scheint, was es an sich, in Wahrheit ist. Man soll folglich den Satz so ausdrücken:

 



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An sich, seinem eigenen oder wahren Wesen nach ist jedes Ding, jedes Object, jedes Reale sich selbst gleich oder mit sich identisch.

Es fragt sich nun: Ist etwas über die Natur der Gegenstände durch diesen Satz ausgesagt oder nicht?

Diese Frage ist gar nicht schwer zu beantworten. Denn es kommt bloss darauf an, ob eine Wirklichkeit imaginirt werden kann, welche mit dem Satze der Identität nicht übereinstimmte, in welcher derselbe keine Gültigkeit gehabt hätte, oder nicht. Kann eine solche Wirklichkeit gar nicht einmal hypothetisch gedacht werden, dann ist der Begriff des Wirklichen oder Realen gar nicht unterschieden von dem Begriffe des Mitsichidentischen oder des Sichselbstgleichen, und der Satz der Identität ist also ein bloss tautologischer oder identischer (nach Kant’s Ausdrucksweise: analytischer) Satz. Denn Subject und Prädicat in demselben bedeuten dann genau dasselbe. Im entgegengesetzten Falle aber nicht. Nun ist unzweifelhaft das letztere der Fall. Wir können uns hypothetisch denken, dass alles Wirkliche in einem unaufhörlichen Fluss oder Wechsel begriffen sei, ohne einen Augenblick stille zu stehen und seine Beschaffenheit festzuhalten, oder auch dass jedes Einzelne zugleich auch alles Andere sei. In einer so gearteten Wirklichkeit würde der Satz der Identität offenbar keine Gültigkeit haben. Der Begriff des Realen oder Wirklichen einerseits und derjenige des Sichselbstgleichen oder Mitsichidentischen andererseits sind also nicht ein und derselbe, sondern zwei verschiedene Begriffe. Folglich ist der Satz der Identität, welcher eine Verbindung dieser zwei verschiedenen Begriffe ausdrückt, nicht ein identischer, sondern ein synthetischer Satz. Als solcher kann er zur Prämisse eines Syllogismus und somit zum Principe der Wissenschaft dienen.

Der Satz der Identität, welcher besagt: »Ein jedes Ding ist sich selbst gleich«, ist eine allgemeine Affirmation über die Natur der realen Gegenstände, und zwar eine Affirmation,

 



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von welcher oben (S. 87 ff.) gezeigt worden ist, dass ohne dieselbe ein Bewusstsein von dem Unterschiede des Wahren und Unwahren nicht entstehen könnte. Indessen vergisst man oft, dass der Satz der Identität eine bestimmte Beschaffenheit der Wirklichkeit voraussetzt oder fordert, und sieht deshalb in demselben eine blosse Wortformel oder höchstens ein die innere, gleichsam polizeiliche Ordnung des Denkens bedingendes Gesetz, ohne Beziehung auf eine ausserhalb des Denkens liegende Wirklichkeit. Allein es kann keine andere berechtigte Ordnung des Denkens geben, als diejenige, welche uns zur richtigen Erkenntniss der Wirklichkeit befähigt und führt. Ein Gesetz des Denkens kann ohne die Rücksicht auf die Wirklichkeit ebensowenig gültig sein, wie die Construction eines Teleskops ohne Rücksicht auf die Gesetze der Verbreitung und der Brechung der Lichtstrahlen tauglich sein kann.

Hier droht uns indessen eine andere Klippe. Wer einsieht, dass der Satz der Identität weit davon entfernt ist, eine blosse Tautologie zu sein, der kann sich leicht versucht fühlen, in das entgegengesetzte Extrem zu verfallen und diesen Satz für einen empirischen, für eine Generalisation aus der Erfahrung zu halten. Das wäre ebenfalls ein entschiedener Fehlgriff. Der Satz der Identität konnte nicht durch Erfahrung gewonnen werden, aus dem einfachen Grunde, weil die Erfahrung mit demselben nicht übereinstimmt oder ihn nicht verwirklicht. Denn – um hier kurz zu sagen, was später ausführlich dargethan werden muss – der Begriff des Mitsichidentischen ist kein anderer, als der Begriff des Absoluten, des Unbedingten, des Selbstexistirenden; unsere Erfahrung aber bietet uns gar nichts Absolutes, sondern nur Relatives und Bedingtes dar.

Wer den Satz der Identität auch nur für ein bloss formales Gesetz des Denkens hält, muss doch zugeben, dass derselbe unbedingte Genauigkeit in der Auffassung eines jeden Objects erfordert. Demgemäss darf man eine halbe Uebereinstimmung nicht für eine ganze halten oder man entsagt der

 



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logischen Präcision und. Schärfe des Denkens, welche allein dessen Richtigkeit verbürgen kann. Nun ist es aber bei einer genauen Auffassung der Sache unzweifelhaft, dass wenn die Erfahrung de Satze der Identität vollkommen angemessen (conform) wäre, in derselben kein Gegenstand definirt, keiner durch Prädicate bezeichnet werden könnte, welche von seinem Begriffe unterscheidbar wären; mit einem Wort, dass der ganze Inhalt der Erfahrung nur in identischen, nicht aber in synthetischen Sätzen ausgedrückt werden könnte und müsste. Das Einzige, was man dann von einem Gegenstande würde aussagen können, wäre eben nur dieses: „A ist A“ und „A ist nicht B“, aber niemals „A ist B“. Der Ausdruck „A ist B“ kann zwar einen Sinn haben, welcher dem Satze der Identität nicht widerspricht, aber nie kann er etwas ausdrücken, was mit diesem Satze vollkommen übereinstimmte. Das liegt auf der Hand. Nun sind zwar die einfachen gegebenen Qualitäten, wie die weisse Farbe oder der süsse Geschmack, von der Art, dass man sie nicht definiren kann und von denselben eigentlich nichts aussagen kann, als dass sie sind, was sie sind, die weisse Farbe eine weisse Farbe und der süsse Geschmack ein süsser Geschmack. Allein selbst in dem Wesen dieser einfachen Qualitäten liegt etwas, das unser Denken nöthigt, dieselben stets in Beziehung, in Relation auf etwas Anderes, nämlich entweder als Zustände des Subjects oder als Eigenschaften und Zustände äusserer Dinge, zu erkennen. Dadurch werden dieselben als Momente einer Synthesis gefasst, daher in synthetischen Sätzen ausgedrückt und also zu dem Satze der Identität in einen Gegensatz gestellt. Von anderen Dingen wäre es überflüssig zu reden, denn es ist allgemein bekannt, dass dieselben Complexe, Synthesen des Verschiedenen sind.*) Es steht also ausser Frage, dass die Erfahrung mit dem Satze der Identität nicht übereinstimmt. Die Frage, an welche sich erkenntnisstheoretische Interessen knüpfen, ist vielmehr diese:

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*) Doch wird dies weiter unten besonders nachgewiesen.

 



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Ob der Satz der Identität das Recht hat, mit der Erfahrung nicht übereinzustimmen, und wo der Grund dieses Bechts liegt? Das ist eine fundamentale Frage, von entscheidender, principieller Bedeutung für das Denken und für die Wissenschaft des Denkens.

Ob wir in der Strenge und Consequenz der denkenden Auffassung weiter gehen dürfen, als uns die Erfahrung ermächtigt oder nicht? Darum handelt es sich. Ist die Erfahrung die einzige Grundlage des Wissens, dann kann von einem logischen Denken, wie man es gewöhnlich in der Theorie versteht, keine Rede sein. Dann müssten wir uns in Allem mit annähernden (approximativen) Ergebnissen, mit einem blossen a peu pres begnügen. Denn allgemeine Einsichten von strenger, ausnahmsloser Gewissheit gibt es dann nicht.

Drückt aber der Satz der Identität einen nicht aus Erfahrung geschöpften Begriff aus, so bezieht er sich eigentlich auf eine andere Wirklichkeit, als welche uns in der Erfahrung vorliegt. Und wenn dennoch die objective Gültigkeit dieses Begriffs bewiesen werden kann, dann erst haben wir ein oberstes Princip des Wissens, welches die Gewissheit allgemeiner Einsichten, auch der aus Erfahrung (durch Induction) gewonnenen, begründet.

2. Der Satz des Widerspruchs.

Das Verhältniss der Bejahung und der Verneinung, der Affirmation und der Negation zu einander nennen die Logiker einen contradictorischen Gegensatz und ihre Vereinigung einen Widerspruch. Der einfachste Ausdruck eines Widerspruchs ist also: »A ist«, »A ist nicht«, oder zusammengenommen: »A ist nicht A«. Einige drücken den Widerspruch auch so aus: »A ist B und nicht B«. Allein das ist offenbar eine unnöthige Verwicklung. Denn der Widerspruch besteht doch einzig und allein in dem contradictorischen Gegensatze von B und nicht B, in der Bejahung und Verneinung desselben,

 



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ganz unabhängig davon, ob es in einem Dritten, A, gedacht wird oder nicht.

Unter dem sogenannten Principe oder Satze des Widerspruchs versteht man nun die Lehre, dass »die Affirmation und die Negation desselben nicht beide wahr sein können«.

Hier begegnet uns ebenfalls dasselbe, wie bei dem Satze der Identität. Man ist nicht allein über die Tragweite und Bedeutung, sondern selbst über den Ausdruck oder die Fassung dieses Satzes uneinig. Derselbe wird manchmal so definirt: »A kann nicht zugleich B und nicht B sein«. Allein schon Kant (K. d. r. V., S. 179) hat auf das Unpassende hingewiesen, in diesen Satz Zeitverhältnisse aufzunehmen.*) Die Definition, welche er selbst vorgeschlagen hat, ist aber wo möglich noch unpassender, nämlich diese: »Keinem Dinge kommt ein Prädicat zu, welches ihm widerspricht« (Eb. S. 178). Bei Herbart findet man die folgende Formulirung des Satzes: »Entgegengesetztes ist nicht einerlei«. In diesen beiden Formeln kann man schwerlich etwas Anderes, als blosse Tautologien, die Wiederholung desselben mit verschiedenen Worten sehen. Gewöhnlich formulirt man den Satz so: »Contradictorisch einander entgegengesetzte Urtheile können nicht beide wahr sein«. Aber auch diese Formel hat das Nachtheilige dass man erst wissen muss, was ein contradictorischer Gegensatz ist, und ausserdem können auch die sog. conträr entgegengesetzten Urtheile (wie: »Alle Menschen sind vernünftig« und »Kein Mensch ist vernünftig«) ebenfalls nicht beide wahr sein. Der einfachste und klarste Ausdruck ist also der oben angeführte: Die Affirmation und die Negation oder die Bejahung und die Verneinung desselben können nicht beide wahr sein.

Nun gibt es in der Wirklichkeit weder Affirmationen

 

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*) In der That können Successionen und Zeitverhältnisse, wie ich es im 2. Bande zeigen werde, selbst nur auf Grund des Satzes vom Widerspruch erkannt werden, dürfen also in dessen Definition nicht aufgenommen werden.

 


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noch Negationen, sondern nur Daseiendes und reale Verhältnisse desselben, welche wohl zu einer Zusammensetzung oder zu einem Widerstreit verschiedener Dinge und Erscheinungen führen, aber doch einen von dem logischen Verhältnisse der Bejahung und der Verneinung ganz verschiedenen Charakter haben. Ausserdem deutet das Wort »Widerspruch« selbst auf blosse Reden. Man wird daher leicht verleitet zu glauben, dass der Satz des Widerspruchs die Wirklichkeit gar nichts angehe, nur auf unsere Reden und Behauptungen Bezug habe. Allein man sollte nicht vergessen, dass Affirmationen und Negationen, obgleich sie nicht selbst in der Wirklichkeit vorkommen, sich doch auf dieselbe beziehen. Was bejahen und verneinen wir denn, wenn nicht die Wirklichkeit eines realen Gegenstandes oder Verhältnisses? Die nothwendige Beziehung des Satzes des Widerspruchs auf die Wirklichkeit wird durch das Wort »wahr« in demselben ausgedrückt; denn Wahrheit ist eben, wie bekannt, nichts Anderes, als die Uebereinstimmung der Vorstellung mit der Wirklichkeit.

Im gewöhnlichen Leben beschränkt man denn auch das Wort »Widerspruch« nicht auf die Bezeichnung der contradictorischen Entgegensetzung »A ist, A ist nicht« allein, sondern glaubt Widersprüche auch in folgenden Zusammenstellungen zu sehen: »A ist rund, A ist dreieckig«, »A ist in Rom, A ist in Paris«, »A ist ganz schwarz, A ist ganz roth« und ähnlichen. Wir müssen also sehen, ob eine gewisse Vereinigung der sogenannten conrären Gegensätze nicht ebensosehr einen Widerspruch bildet, wie die Vereinigung des contradictorisch Entgegengesetzten. Und ob der Satz des Widerspruchs a priori feststeht oder aus der Erfahrung abgeleitet ist.

Die Sache muss wohl ihre Schwierigkeiten haben; denn wir sehen, dass ein so scharfsinniger Denker, wie Stuart Mill theils zu keiner festen Ansicht, theils aber zu etwas wunderlichen Ansichten darüber gelangt ist. Er hat ganz richtig begriffen, dass der Satz des Widerspruchs nicht eine bloss

 


 

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»verbale Proposition» d. h. keine blosse Wortformel ist. Aber in seinem Werke über die Logik glaubte er behaupten zu dürfen, dass dieser Satz »eine unserer ersten und familiärsten Generalisationen aus Erfahrung« sei (Log. I. S. 327–8 [p 307]). Dagegen scheint er in seinem Werke über die Philosophie Hamilton’s den Satz des Widerspruchs und die anderen sogenannten logischen Gesetze für ursprüngliche Nothwendigkeiten des Denkens zu halten. Einmal sagt er zwar, dass er selbst in diesem Punkte unschlüssig sei, »denn wer weiss, wie künstlich, veränderlich, von Umständen abhängig die meisten der vorausgesetzten Nothwendigkeiten des Denkens sind (obgleieh wirkliche Nothwendigkeiten für eine gegebene Persönlichkeit zu einer gegebenen Zeit), der wird mit der Behauptung zögern, dass irgend welche unter diesen Nothwendigkeiten einen ursprünglichen Theil unserer geistigen Constitution ausmachen.« (An Exam. etc. p. 475.) Aber an einer anderen Stelle spricht er sich über den Satz des Widerspruchs mit mehr Entschiedenheit aus: »Dass dasselbe Ding zugleich sei und nicht sei – dass dieselbe identische Behauptung zugleich wahr und falsch sei, – das ist nicht allein unbegreiflich für uns, sondern wir können uns gar nicht vorstellen, dass es irgend begreiflich gemacht werden könnte. Wir können keinen genügenden Sinn mit der Proposition vereinigen, um im Stande zu sein, die Voraussetzung einer anderen Erfahrung über diesen Gegenstand uns vorzustellen. Wir können daher die Frage nicht einmal aufstellen (entertain), ob diese Unmöglichkeit (incompatibility) in der ursprünglichen Structur unseres Geistes (Minds) liege oder durch die Erfahrung darin eingeführt sei«. (Eb. p. 84). Die letzte Phrase ist offenbar nur dazu da, um dem Empirismus des Autors eine Ausflucht zu lassen. Was Mill, selbst für schlechthin unbegreiflich erklärt, dessen Undenkbarkeit sollte er schon der Natur des Denkens selbst zuschreiben; denn sonst leistet er in dem Denken des Undenkbaren und dem Begreifen des Unbegreiflichen wahrhaft Erstaunliches. Sagt er doch, dass

 


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ein viereckiger Kreis oder ein Körper, der ganz schwarz und zugleich ganz wess sei, sehr wohl denkbar wären, wenn die Erfahrung nicht zeigte, dass jedesmal, wenn eine kreisförmige Figur zu einer viereckigen wird, sie dabei aufhört, rund zu sein, und jedesmal, wenn ein schwarzer Körper weiss wird, er dabei aufhört, schwarz zu sein. Die Unmöglichkeit, solche Ideen zu vereinigen, kann nach Mill zurückgeführt werden auf »untrennbare Association, zusammen mit der ursprünglichen Unbegreiflichkeit eines directen Widerspruchs« (Eb. p. 84). »Wir würden wahrscheinlich, sagt er, keine Schwierigkeit haben, die zwei vermeintlich unverträglichen Ideen zu vereinigen, wenn unsere Erfahrung nicht vorher eine derselben mit dem Contradictorischen (the contradictory, Mill meint wahrscheinlich: mit der Abwesenheit) der anderen untrennbar associirt hätte.«*)

In die Erörterung des Widerspruchs muss auch die des Gegensatzes miteinbegriffen werden, weil beide miteinander zusammenhängen. Die Lehre von dem Gegensatze nun ist bis jetzt noch nicht gehörig ausgearbeitet und hier ist gerade der Ort, einige Worte der Erläuterung dieses Gegenstandes zu sagen.**)

Es gibt nur zwei Arten eigentlichen Gegensatzes: den realen Gegensatz, und den logischen. Der reale Gegensatz, welchen Kant (in seiner Abhandlung über die negativen Grössen) die »Realrepugnanz« nannte, findet, wie er richtig sagt, »nur statt insofern zwei Dinge als positive Gründe eines die Folge des anderen aufhebt«, d. h. er findet nur zwischen

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*) Ebend. p. 85. Auch glaubt St. Mill ernstlich, dass „Things certainly do remind us of their absence, because (as pointed out by Mr. Bain) we are only conscious of their presence by comparison with their absence“. (In einer Anmerkung zu James Mill’s Analysis etc., I. p. 126).

**) Seitdem diese Zeilen geschrieben worden sind, ist eine verständige Erörterung der Lehre von dem Gegensatze in Sigwart’s Logik (I, 134 ff.) erschienen. Nur hat Sigwart dabei ein Versehen begangen, welches ich weiter unten erwähnen werde.

 


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zwei Kräften statt, welche auf denselben Gegenstand im entgegengesetzten oder im verschiedenen Sinne einwirken. Der logische Gegensatz ist der zwischen einer Affirmation und der Negation derselben, da diese sich ausdrücklich auf jene bezieht und sie aufhebt. Aber was der logischen Affirmation und Negation in der Wirklichkeit entspricht, nämlich das Dasein und das Nichtsein, oder das Vorhandensein und die Abwesenheit eines Gegenstandes bildet an und für sich keinen Gegensatz. Denn das Dasein eines Gegenstandes an einem Orte und zu einer Zeit ist sehr gut verträglich mit seinem Nichtsein an anderen Orten und zu anderen Zeiten. Das Nichtsein eines Gegenstandes enthält keine solche Beziehung auf dessen Dasein, wie die logische Negation auf die negirte Affirmation. Vollends aber können zwei reale Qualitäten oder Bestimmungen an und für sich keinen Gegensatz bilden, weil keine reale Qualität eine ausdrückliche Beziehung, und zwar eine ausschliessende, zu der anderen hat, da alle Qualitäten vielmehr sehr gut neben einander bestehen können. Es ist ein offenbares Missverständniss, wenn Herbart (Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, 2. Aufl. S. 254) meint, dass die Ungleichheit der Qualitäten »bei manchen Dingen in dem Verhältnisse eines conträren Gegensatzes steht,« aus welchem Umstande sich »die ganze Welt der Geister und der Körper« ergeben soll. Ebenso unzulässig ist es, wie Drobisch (Neue Darst. der Logik, 2. Aufl. § 22) zu meinen, dass die äussersten Glieder einer vollständigen und vollkommen geordneten Reihe coordinirter Begriffe in dem logischen Verhältnisse des conträren Gegensatzes stehen. Der Gegensatz von Schwarz und Weiss oder von Nord und Süd u. ähnl. ist, gerade logisch betrachtet, von keiner weiteren Bedeutung, als derjenige zwischen Weiss und Roth oder zwischen Nord und Ost u. ähnl. Der Widerspruch in den Phrasen: »Das Weisse ist roth« oder »Der Nordwind weht vom Osten« ist ebenso gross, wie derjenige in den Phrasen: »Das Weisse ist schwarz« oder »der Nordwind weht vom Süden«. Wenn Qualitäten

 


 

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einander an sich entgegengesetzt sein könnten, so müsste man erwarten, dass der Gegensatz derselben mit ihrer Ungleichheit wachsen würde; allein es findet gerade das Gegentheil davon statt. Denn wir sehen, dass Qualitäten, welche zu ganz verschiedenen Gattungen gehören, am wenigsten einander entgegengesetzt und sehr gut vereinbar sind, wie: viereckig und weiss oder roth und süss. Ein Gegenstand, der zugleich viereckig und weiss oder zugleich roth und süss ist, kann gedacht werden. Dagegen bilden die Qualitäten derselben Gattung einen Gegensatz, sobald man sie auf denselben Gegenstand bezieht, denn sie können nicht vereinigt werden. Einen zugleich viereckigen und runden Gegenstand kann man nicht denken. Daraus ersieht man, dass reale Qualitäten und Bestimmungen nicht an sich, sondern nur wenn sie auf denselben Gegenstand bezogen werden, also nur in dem zusammenfassenden Denken einen Gegensatz bilden können; und dann wird es auch klar, warum Qualitäten derselben Gattung unter einander eher im Gegensatze stehen, als die Qualitäten verschiedener Gattungen. Der Grund davon ist der, dass man bei einer Vereinigung der ersteren ganz etwas Anderes denkt, als bei einer Vereinigung der letzteren. Bei der Vereinigung von Viereckig und Weiss z. B. denkt man, dass der Gegenstand, welcher in einer Hinsicht viereckig, in einer anderen weiss ist, was keinen, wenigstens keinen offenbaren, Widerspruch ergibt. Dagegen bei der Vereinigung von Viereckig und Rund oder von Roth und Weiss muss man denken, dass der Gegenstand in derselben Hinsicht zugleich viereckig und rund oder zugleich weiss und roth sei, was offenbar einen Widerspruch ergibt. Qualitäten, welche zu derselben Gattung gehören, müssen einem Gegenstande eben auch in derselben Hinsicht beigelegt werden. Aber auch zwischen diesen letzteren trägt die Entgegensetzung nicht überall einen gleich ausgesprochenen, prononcirten Charakter und dieser Umstand muss näher be1euchtet werden.

Es gibt in der Erfahrung Zustände und Bestimmungen,

 


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welche einander schlechthin, ihrem ganzen Wesen nach gegenseitig ausschliessen, wenn sie nämlich auf denselben Gegenstand bezogen werden. Solche Zustände kennen und wissen, dass sie mit einander unverträglich sind, ist eins. Dieser Art Gegensätze sind z. B. Krummes und Gerades, Ruhe und Bewegung, Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit, Licht und Finsterniss u. s. w. Was sich bewegt, das ändert seinen Ort, das Ruhende dagegen ändert seinen Ort nicht. Gerade ist eine Linie, wenn sie überall dieselbe Richtung behält; krumm ist dagegen eine Linie, welche ihre Richtung unaufhörlich ändert, dieselbe Richtung nirgends behält. Gesundheit ist ein bestimmter Zustand des lebenden Organismus, Krankheit dagegen die Abwesenheit gerade dieses Zustandes und das Vorhandensein eines von demselben Unterschiedenen. Man kann sagen, dass dies contradictorische Gegensätze in der Wirklichkeit selbst seien, die sich aber nur dem Bewusstsein als solche erweisen. Es gibt nun ferner Unterschiede, welche einen wesentlich gleichen Charakter haben, aber denselben nicht so offen zur Schau tragen, so z. B. der oben erwähnte des Runden und des Viereckigen. Um zu wissen, dass ein Kreis nicht viereckig sein kann, bedarf es keiner besonderen Erfahrung und Association, wie es Mill behauptet, denn das folgt aus den Begriffen dieser beiden Figuren unmittelbar. Der Kreis ist eine Linie, deren Theile alle von einem einzigen Punkte gleich weit entfernt sind; dagegen sind alle Theile eines Vierecks von keinem einzigen Punkte gleich weit entfernt. In der Behauptung eines viereckigen Kreises wird also dasselbe bejaht und verneint, was einen Widerspruch ausmacht. Aber ist der Widerspruch und die Undenkbarkeit nicht ebenso gross, wenn man von einem dreieckigen, oder elliptischen, oder spiralförmigen Viereck redet? Offenbar, ja. Worin liegt nun hier im Allgemeinen der Grund des Widerspruchs?

Wenn ein Gegenstand mit einem anderen unmittelbar eins wäre, so wäre er von sich selber unterschieden, oder

 


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was dasselbe ist, wenn eine Qualität mit einer anderen unmittelbar eins wäre, so wäre sie von sich selber unterschieden. Dies würde aber in directem Widerspruch mit dem Satze »Jeder Gegenstand ist mit sich selbst identisch« stehen. Daher bildet die unmittelbare Vereinigung verschiedener Qualitäten einen Widerspruch und erweisen sich die verschiedenen Qualitäten bei einem Versuche solcher Vereinigung als einander entgegengesetzt oder sich gegenseitig ausschliessend, obwohi sie an und für sich keinen Gegensatz, weil überhaupt keine Beziehung zu einander enthalten.

Bei einer Vereinigung jener zuerst erwähnten Gegensätze von Ruhe und Bewegung, von Krummem und Geradem u. s. w. wird kein Logiker einen Augenblick anstehen, zuzugeben, dass dieselbe einen Widerspruch bildet. Denn wiewohl kein realer Zustand die blosse und ausdrückliche Negation eines anderen sein kann, so implicirt doch die Ruhe so unmittelbar die Abwesenheit der Bewegung und umgekehrt, dass zu sagen, etwas ruhe oder etwas bewege sich nicht, ganz dasselbe bedeutet. Obgleich also die Logiker diese realen Gegensätze conträre Gegensätze nennen, so muss man doch zugeben, dass in diesem Falle die conträre Entgegensetzung der contradictorischen vollauf gleich kommt. Aber schon in der Vereinigung des Runden und des Viereckigen glaubt ein Denker wie Mill keine Contradiction zu sehen. Und vollends wenn man zu anderen Eigenschaften der Dinge, wie Farbe, Consistenz u. s. w., herabgeht, trübt sich der Blick mancher Logiker so sehr, dass sie in der unmittelbaren Vereinigung des Verschiedenen endlich keine Spur vom Widerspruch mehr zu bemerken glauben. Man muss untersuchen, welchen Grund diese Erscheinung hat.

Der Gegensatz von Ruhe und Bewegung und andere ähnliche haben dies Eigenthümliche an sich: Sie umfassen die ganze Sphäre der Wirklichkeit, auf welche sich ihre Begriffe beziehen, sie bilden eine vollständige Disjunction. So kann z. B. der Zustand eines Dinges im Raume nur entweder

 


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Ruhe oder Bewegung sein; ein Drittes gibt es nicht.*) Was nicht ruht, das bewegt sich nothwendig, und was sich nicht bewegt, das ist eo ipso schon ruhend. So kann auch eine Linie nur entweder dieselbe Richtung verfolgen (gerade sein) oder ihre Richtung ändern (krumm sein); was nicht krumm ist, ist daher nothwendig gerade, und was nicht gerade ist, ist schon eo ipso krumm. – Wenn nun zwei Zustände einander so ausschliesslich gegenüberstehen, dass, was nicht in dem einen ist, nothwendig dem anderen anheimfällt, so wird ihr Unterschied dadurch für uns zu einem ausdrücklichen Gegensatze; weil das Vorhandensein des Einen dem Bewusstsein unmittelbar den Gedanken an die Abwesenheit des Anderen aufdrängt, und daher die Einsicht, dass der eine Zustand nicht der andere ist, ganz unabwendbar und unverkennbar macht.

Nun ändert der Unterschied zweier Zustände seinen Charakter nicht im geringsten dadurch, dass die Möglichkeit noch weiterer, von jenen beiden verschiedener Zustände hinzukommt. Aber das Bewusstsein des Unterschiedes kann dadurch sehr beeinflusst und modificirt werden. Gäbe es im Raume nur runde und viereckige Figuren, so würde es Niemand eingefallen sein, zu behaupten, dass ein viereckiger Kreis denkbar sei. Denn das Bewusstsein von dem Unterschiede dieser beiden Figuren würde dann mit den Begriffen derselben ganz verwachsen sein. »Rund« würde so vie1 bedeuten, wie »nicht viereckig« und umgekehrt. Dies ist indessen nicht der Fall. Eine Figur, welche nicht rund ist, braucht deshalb noch nicht viereckig zu sein; sie kann noch auf vielerlei andere Weisen, welche von jenen beiden verschieden sind, gestaltet sein. Die Folge davon ist, dass das Runde und das Viereckige in unserem Bewusstsein keinen

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*) Es gibt eigentlich zwischen Ruhe und Bewegung einen mittleren Zustand, nämlich den des Gleichgewichts oder der gehemmten Anstrengung; wenn man aber bloss die Lage im Raume ins Auge fasst, so unterscheidet sich dieser letztere Zustand nicht von der absoluten Ruhe.

 

 


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solchen Gegensatz bilden, wie die Ruhe und die Bewegung, obgleich der Unterschied des Runden und des Viereckigen ebenso fest und irreductibel ist, wie der Unterschied von Ruhe und Bewegung oder von Krumm und Gerade. Weil aber das Runde und das Viereckige im Bewusstsein keinen so ausgesprochenen Gegensatz bilden, ist auch die Einsicht von der Irreductibilität ihres Unterschiedes nicht so scharf und dem Geiste unmittelbar gegenwärtig und kann daher sogar aus den Augen gelassen werden, wie wir es bei Mill gesehen haben.

Mögen nun die Logiker sagen, was sie wollen, es steht ausser Zweifel, dass zwei verschiedene Behauptungen, welche sich auf denselben Gegenstand in derselben Hinsicht beziehen, unter einander gleich sehr im Widersprach stehen, wie die Bejahung und die Verneinung desselben. Wenn Jemand behauptet, dass ein Gegenstand viereckig ist, so leugnet er eben damit ganz entschieden, wenn auch nur par implication, dass dieser Gegenstand rund oder elliptisch oder irgend wie sonst gestaltet ist. Wenn Jemand behauptet, dass ein Gegenstand roth ist, so leugnet er eben damit ganz entschieden, dass derselbe grün oder weiss oder irgend wie sonst gefärbt ist. Dies kommt sofort zum Vorschein, wenn zwei derartige Behauptungen einander gegenüberstehen. Stellt Jemand meiner Behauptung »die Neger sind schwarz« die Behauptung »die Neger sind gelb« entgegen, so muss ich die letztere leugnen, weil sie Kraft des Satzes vom Widerspruch und des Zeugnisses der Erfahrung mit der meinigen unvereinbar ist.

Man muss also offenbar zwei verschiedene Formeln des Satzes vom Widerspruch aufstellen, nämlich:

1) Die Affirmation und die Negation desselben Gegenstandes (wie »A ist« und »A ist nicht«) können nicht beide wahr sein.

2) Zwei verschiedene Affirmationen, Behauptungen, welche sich auf denselben Gegenstand in derselben Hinsicht beziehen (wie »A ist rund« und »A ist viereckig«) können nicht beide wahr sein.

 


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Der Unterschied zwischen diesen beiden Formeln ist zunächst der, dass die Negation sich ausdrücklich auf die Affirmation bezieht und diese aufhebt, während zwei verschiedene Affirmationen sich nie unmittelbar einander negiren können, sondern nur unter Voraussetzung des Satzes, dass ein Gegenstand in derselben Hinsicht nicht auf verschiedene Weise beschaffen sein kann, weshalb der Widerspruch zwischen zwei Affirmationen nicht ein offener, wie zwischen der Bejahung und der Verneinung desselben, sondern ein implicirter ist. Darum möchte ich die erste Formel den »Satz des offenen Widerspruchs« und die zweite Formel den »Satz des implicirten Widerspruchs« nennen.

Von dem Satze des offenen Widerspruchs kann man wohl sagen, dass derselbe sich bloss auf unsere Urtheile und Reden bezieht und über die Natur der Gegenstände nichts aussagt; von dem Satze des implicirten Widerspruchs dagegen kann dieses durchaus nicht gesagt werden. Dieser ist nur dadurch eine gültige Regel für unsere Urtheile, weil er eine wahre Behauptung über die Natur realer Gegenstände ausdrückt. Zwei verschiedene Behauptungen über denselben Gegenstand können nur darum nicht beide wahr sein, weil ein Gegenstand in einer und derselben Hinsicht – sei es in Hinsicht auf Figur oder Farbe, Gewicht, Geschmack oder sonst noch eine Seite seines Wesens – nicht auf zwei verschiedene Weisen beschaffen sein kann.

3. Uebergang von der Logik zur Ontologie.

Allein wir dürfen und müssen noch einen Schritt weiter thun. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass die Sätze »das Viereckige ist an sich, als solches (ohne Bedingung und Vermittlumg) roth« oder »das Rothe ist an sich, als solches (ohne Bedingung und Vermittlung) süss« ebensosehr einen logischen Widerspruch enthalten, wie die Sätze »das Viereckige ist rund« oder »das Rothe ist selbst grün«. Wohl

 


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kann ein Gegenstand, der in einer Hinsicht oder im Verhältniss zu einem Sinnesorgan roth ist, in einer anderen Hinsicht oder im Verhältniss zu einem anderen Sinnesorgan süss sein; aber es ist schlechthin widersprechend und undenkbar, dass das Rothe in dem Gegenstande selbst, als solches süss oder das Süsse selbst, als solches rund wäre, kurz dass zwei verschiedene Qualitäten ohne Bedingung und Vermittlung eins wären.

Denn die Behauptung »das Rothe ist an sich, als solches süss« besagt offenbar, dass die Gesichtsqualität roth an, sich ihrem eignen Wesen nach das ist, was sie nicht ist nämlich die Geschmacksqualität süss und umgekehrt.

So gelangen wir zu der weitesten Formel des Satzes vom Widerspruch, welche so lautet:

Eine unbedingte und unvermittelte Vereinigung des Verschiedenen ist nicht möglich.

oder

Verschiedenes kann nicht an sich, als solches eins und dasselbe sein.

Die oben constatirte zweite Formel des Satzes vom Widerspruch führt uns mit Nothwendigkeit zu dieser letzten, weitesten Form desselben. Denn warum kann ein Gegenstand in derselben Hinsicht nicht auf verschiedene Weise beschaffen sein? mit anderen Worten: Warum ist eine Vereinigung zweier Qualitäten derselben Gattung (zweier Figuren, zweier Farben u. s. w. nicht möglich? Eben weil diese Vereinigung nothwendig eine unbedingte und unvermittelte sein würde, was widersprechend und undenkbar ist. Wenn ein Gegenstand in derselben Hinsicht auf verschiedene Weisen beschaffen, wenn er zugleich viereckig und rund, oder zugleich ganz roth und ganz grün wäre, so würde in ihm das Viereckige selbst rund und das Rothe selbst, als solches grün sein, und dies ist ein logischer Widerspruch. Dagegen ist eine bedingte Vereinigung verschiedener Qualitäten nicht widersprechend und wohl möglich. Ein ganz rother Apfel kann süss sein,

 


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weil er es auf eine bedingte Weise ist; aber er kann nicht zugleich grün sein, eben darum weil seine rothe Farbe nicht selbst, an sich grün sein kann, d. h. allgemein gesagt, weil eine unbedingte und unvermittelte Vereinigung des Verschiedenen nicht möglich ist.

Im Ganzen haben wir also drei verschiedene Formulirungen des Satzes vom Widerspruch constatirt, welche einen immer weiteren Umfang haben. Objectiv ausgedrückt, lauten dieselben so:

1) Sein und Nichtsein können nicht in demselben Gegenstand vereinigt sein.*)

2) Zwei verschiedene Qualitäten derselben Gattung (wie viereckig und rund oder roth und grün) können nicht in denselben Gegenstand vereinigt sein. **)

3) Eine unbedingte und unvermittelte Vereinigung verschiedener Qua1itäten irgend einer Art oder Gattung ist überhaupt nicht möglich. Verschiedenes kann nicht an sich, als solches eins und dasselbe sein.

Für die Zwecke der Logik sind die zwei ersten Formeln allein nöthig und verwendbar, die dritte Formel dagegen braucht in einem Werke über Logik kaum erwähnt zu werden. Denn die zwei ersten lassen sich als allgemeine formale Regeln für unsere Urtheile gebrauchen (s. deren formalen Ausdruck), die dritte dagegen in ihrem vollen Umfang nicht, und zwar darum, weil ihr niemals ein factischer Widerspruch entgegen treten kann.

Damit will ich nicht etwa sagen, dass man niemals gegen den Satz vom Widerspruch in seiner dritten Fassung verstossen, d. h. niemals behauptet hätte, dass Verschiedenes an sich, als solches eins und dasselbe sei. Im Gegentheil,

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*) Der formale Ausdruck davon ist: Die Bejahung und die Verneinung desselben können nicht beide wahr sein

**) Der formale Ausdruck davon ist: Zwei verschiedene Behauptungen, welche sich auf denselben Gegenstand in derselben Hinsicht beziehen, können nicht beide wahr sein.


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eine derartige Annahme in voller Allgemeinheit gefasst, ist vielmehr, wie man weiss, einem ganzen philosophischen System (dem von Hegel) zu Grunde gelegt worden. Auch in unserer Zeit ist eine Behauptung dieser Art zur Mode geworden, nämlich die, dass die psysichischen Erscheinungen und die cerebralen Vorgänge, welche sie bedingen, ihrem innersten Wesen nach dasselbe seien, wie man es oft ausdrückt, sich zu einander wie die concave und die convexe Seite derselben krummnen Oberfläche verhalten. Allein solche Annahmen und Behauptungen verstossen gegen den Satz vom Widerspruch, soweit er eine Einsicht in die Natur realer Gegenstände ausdrückt, nicht soweit er eine Regel für die Urtheile ist. Daher merken auch die Hegelianer und die neuen, Physisches und Materielles identificirenden Physiologen nicht, dass sie einen logischen Widerspruch begehen. Denn dieser Widerspruch erscheint eben niemals als verkörpert in Gestalt zweier Urtheile oder Behauptungen, welche einander entgegengesetzt sind, wie die Sätze »A ist« und »A ist nicht« oder »A ist rund« und »A ist viereckig«. Das ist vielmehr ein innerer Widerspruch, den man in sein einzelnes, unvertheiltes Urtheil aufnimmt.*)

Wenn ein Mensch das Dasein eines Gegenstandes behauptet und ein anderer dasselbe leugnet oder wenn zwei Menschen von demselben Gegenstande Verschiedenes behaupten, der eine, dass er rund, der andere, dass er viereckig sei, so bestreiten

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*) Den Satz „das Rothe ist an sich, als solches süss“ kann man nicht in zwei widersprechende Urtheile zerlegen, wie den Satz „das Viereckige ist rund“. Denn zerlegt man denselben in zwei Urtheile „A ist roth“ und „A ist süss“, so geht gerade dasjenige verloren, was in ihm widersprechend ist, nämlich die Behauptung, dass das Rothe an sich (unbedingt) süss sei. Die Sätze „A ist roth“ und „A ist süss“ widersprechen einander nicht, weil man bei denselben an eine bedingte Vereinigung der Qualitäten Roth und Süss denkt, welche nicht widersprechend ist und in der Wirklichkeit vorkommt. Dagegen widersprechen sich die Sätze „A ist viereckig“ und „A ist rund“ nothwendig, weil die Vereinigung von Qualitäten derselben Art nur als eine unbedingte gedacht werden und darum auch in der Wirklichkeit nie vorkommen kann.

 


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sie nicht die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch selbst. Dieselbe wird vielmehr von beiden anerkannt. Gerade unter Voraussetzung der Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch, unter Voraussetzung, dass ein Gegenstand nicht zugleich sein und nicht sein oder zugleich rund und viereckig sein kann, streiten sie über das Dasein oder die Beschaffenheit eines einzelnen Gegenstandes. Dagegen wenn Jemand behauptet, dass Qualitäten verschiedener Natur dasselbe seien, dass das Rothe als solches süss oder das Psychische an sich, seinem inneren Wesen nach materiell sei, so leugnen sie die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch selbst. Hier wird also ein Streit nicht auf Grund des Satzes vom Widerspruch, sondern gegen den Satz vom Widerspruch selbst geführt. Darum also kann die dritte Formel des Satzes vom Widerspruch nicht als eine Regel für die Urtheile, sondern bloss als der Ausdruck einer ontologischen Einsicht, einer Einsicht in die Natur der Dinge betrachtet und gebraucht werden.

Somit ist nun der Uebergang von der Logik zur Ontologie nachgewiesen.

Bis jetzt haben die Logiker den Satz vom Widerspruch bloss in seiner 1. Formel (»die Bejahung und die Verneinung desselben können nicht beide wahr sein«) gekannt; aber es kann leicht gezeigt werden, dass diese 1. Formel in jeder Hinsicht eine abgeleitete ist, und dass man daher bei derselben nicht stehen bleiben kann.

Erstens lässt es sich zeigen, dass die erste Formel des Satzes vom Widerspruch ohne die zweite factisch keinen Bestand haben kann, dass ein Widerspruch zwischen den Behauptungen verschiedener Menschen oder zwischen den Vorstellungen eines und desselben Menschen gar nicht entstehen und sich geltend machen kann, ohne die Mitwirkung des Satzes vom Widerspruch in seiner 2. Form. Denn niemand kann, wie oben (S. 186 ff) gezeigt worden, die Unwahrheit, irgend einer Vorstellung in sich selber und noch weniger in einem anderen Menschen unmittelbar einsehen, also zu deren Nega-

 


Die logischen Gesetze.

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tion unmittelbar gelangen. Alle Negation entsteht vieimehr factisch aus dem Conflict von Affirmationen. Aber ein Conflict, ein Gegensatz zwischen Affirmationen ist nur unter der Bedingung möglich, dass der Satz vom Widerspruch in seiner 2. Formel gültig ist. Denn an und für sich kann keine Affirmation die Leugnung einer anderen enthalten, keine Vorstellung unmittelbar eine andere logisch ausschliessen, sowie keine reale Qualität ihrer Natur nach einer anderen entgegengesetzt sein. Verschiedene Behauptungen und Vorstellungen können nur dann mit einander in Widerspruch gerathen, wenn der Satz gilt, dass ein Gegenstand in derselben Hinsicht nicht auf verschiedene Weise beschaffen sein kann.

So ist die 1. Formel des Satzes vom Widerspruch ihrem factischen Ursprung und Bestande nach durch die 2. Formel desselben bedingt. Es ist aber klar, dass dieselbe auch logisch, ihrem Gehalte nach ein blosses Derivativ aus dieser letzteren ist. Denn der Umstand, dass Sein und Nichtsein an demselben Gegenstand nicht vereinigt werden können, ist offenbar bloss ein besonderer Fall des Umstandes, dass ein und derselbe Gegenstand überhaupt nicht auf verschiedene Weise beschaffen sein kann.

Die erste Formel ist also ein blosses Resultat der zweiten. In derselben wird jede Rücksicht auf die Natur der Dinge und den Inhalt der Urtheile fallen gelassen und nur das Resultat festgehalten, dass die Bejahung und die Verneinung desselben nicht beide wahr sein können. Woher kommt überhaupt die Verneinung, wie kann überhaupt ein Widerspruch zwischen Vorstellungen und Urtheilen entstehen, darüber enthält diese Formel keine Andeutung. Negationen und Widersprüche setzt sie als schon bestehend voraus, mithin auch ein Gesetz des Denkens, welches dieselben bedingt, aber in dieser dürftigen Formel nicht selbst zum Ausdruck kommt.

So weist uns die erste Formel des Satzes vom Widerspruch nothwendig auf die zweite, von der sie nur ein Resultat ist, zurück. Aber die zweite Formel ist, wie wir gesehen haben,

 


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nur ein besonderer Fall der dritten. Die dritte Formel des Satzes vom Widerspruch drückt also allein in seiner vollen Allgemeinheit und seinem vollen Umfang das Gesetz des Denkens aus, welches in den logischen Regeln sich geltend macht.

Dieses Gesetz des Denkens auseinanderzusetzen und durch das Zeugniss der Thatsachen zu verificiren, wird Aufgabe der nachfolgenden Kapitel sein.