VIERTES KAPITEL.

DER PANTHEISMUS ODER DIE VERWECHSELUNG DES UNBEDINGTEN MIT DEM ALLGEMEINEN.

 

Die Metaphysik ist, wie schon bemerkt, der Versuch, das Bedingte dadurch endgültig zu erklären, dass man es aus dem Unbedingten ableitet. Eines der hauptsächlichsten Elemente der bedingten Wirklichkeit, welche einer Erklärung bedürfen, ist nun der Zusammenhang des Verschiedenen nach Gesetzen, die Relativität der Naturobjecte, weil in dieser gerade sich das Bedingtsein am unmittelbarsten documentirt. Alle metaphysischen Erklärungsversuche müssen nun in Rücksicht darauf von einer der beiden allein möglichen Voraussetzungen ausgehen. Nämlich es muss dabei das Reale an sich, das Unbedingte entweder als eine Einheit, Eine Substanz, oder als eine Vielheit von Substanzen, d. h. von unbedingten Wesen gefasst werden.

 

Ich kenne nur drei Versuche, die gegebene Wirklichkeit aus einer Vielheit von Substanzen abzuleiten: 1) Die materialistische Atomistik, 2) die Lehre von Leibniz und 3) die Lehre von Herbart.

 

Die Materialisten wollen die Erfahrung selbst, die empirische Erkenntniss zu einer Metaphysik machen. Allein wenn dieses möglich wäre, dann brauchte man keine Philosophie dazu. Wenn die Körper wirklich existirten, so würden wir ja das Unbedingte unmittelbar wahrnehmen und es wäre dann nicht nöthig, hinter dem Wahrnehmbaren noch nach

 

 


 

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etwas Weiterem zu suchen, da das Unbedingte eben der letzte Kern der Wirklichkeit und der äusserste Grenzstein der Forschung ist. Allein wir sehen vielmehr, dass die Körper der Theorie etwas ganz Anderes sind, als die Körper der Wahrnehmung. Es sind nichtwahrnehmbare Atome oder Kraftcentra, von welchen kein Mensch sagen kann, was sie sind, sondern nur, wie sie sich unter einander verhalten. Die Relativität macht nicht etwa einen zufälligen Zustand, sondern das ganze Wesen dieser Dinge selbst aus. Ein relatives Absolutes aber ist, wie Jedermann einsieht, eine contradictio in adjecto. Sobald es sich herausgestellt hat, dass die Körper, welche wir wahrnehmen, nicht in eben der wahrgenommenen Beschaffenheit das Unbedingte, die wirklichen Dinge selbst sind, darf man offenbar diese letzteren, auch wenn man eine Vielheit derselben annimmt, nicht mehr nach der Analogie der Körper, welche sich ja eben als etwas nicht-Unbedingtes erwiesen haben, sondern nur nach den Forderungen des Begriffs bestimmen. Eine Metaphysik darf also in keinem Falle Körperlehre sein. So gross ist indessen die unter den Materialisten herrschende Unklarheit, dass viele derselben alle Metaphysik verspotten, ja sich über die Annahme eines »Dinges an sich« überhaupt lustig machen und doch zugleich die Materie nicht bloss für wirklich existirend, sondern sogar für das einzige Existirende halten. Sie sind also noch nicht zu dem elementaren Bewusstsein gelangt, dass eine wirklich existirende Materie ein Ding an sich, ein transcendentales Object wäre, dass die Materie nur deshalb in Wahrheit kein Ding an sich ist, weil sie überhaupt kein Object in der Wirklichkeit, sondern bloss eine Vorstellungsart im Subjecte ist. Die denkenden, consequenten Empiristen haben schon längst erkannt, dass man die Erfahrung nur dann von Metaphysik rein erhält, wenn man das Dasein der Körper leugnet.

 

Leibniz hat den dem materialistischen entgegengesetzten Versuch gemacht, seine Monaden, aus welchen er die Welt

 

 


 

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ableitet, nach der Analogie unseres inneren, psychischen Wesens zu fassen. Seine Monaden sind alle vorstellende Wesen und stehen in einer durch Gott vorher bestimmten Harmonie unter einander, so dass jede derselben das ganze Universum in sich abspiegelt. Aber diese Lehre kränkelt an demselben Fehler, wie die materialistische. Auch sie fasst das Unbedingte als den empirischen Gegenständen ähnlich, als relativ und bedingt auf und verfehlt daher von vornherein das Ziel der metaphysischen Erklärung. Wenn man die Monaden selbst aus Gott ableiten und ihnen eine wesentliche Relativität unter einander beilegen muss, warum dann nicht einfach die Welt der Erfahrung, wie sie einmal da ist, aus Gott ableiten oder durch diesen entstehen lassen? Wozu die Einschiebung dieses Pseudo-Unbedingten, welches weder dem Begriffe Genüge thut, noch zur Erkenntniss des Gegebenen etwas beitragen kann, da Alles in der Erfahrung auch ohne dasselbe gerade so sein würde, wie es gegenwärtig ist? Da ist schon, wie Brown richtig bemerkt hat, die Metaphysik der Genesis viel grossartiger, nach welcher Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Solche Lehren, wie die von Leibniz, könnon nur zur Ergötzung subtiler Köpfe dienen, haben aber keinen wissenschaftlichen Werth, so dass man auch mit der Widerlegung derselben sich nicht lange aufzuhalten braucht.

 

Herbart allein hat eine Ableitung des Gegebenen aus einer Vielheit unbedingter Monaden oder Realen versucht mit dem Bestreben, alle Relativität von dem Wesen derselben fern zu halten, da sie dem Begriffe des Unbedingten offenbar widerspricht. Aber Herbart ist auch durch diesen Versuch in einen ganzen Haufen logischer Widersprüche verwickelt worden und hat sich zu Behauptungen verleiten lassen, welche selbst dem einfachsten Verstande als unhaltbar und widersinnig sich enthüllen. Eine ausführliche Widerlegung der Herbart’schen Ableitung halte ich darum nicht für nöthig, zumal ich oben (S. 285 – 6) bewiesen habe, dass eine Einwirkung

 

 


 

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wirklicher, unbedingter Dinge auf einander, erstens ohne Widerspruch nicht gedacht werden und zweitens, zur Erklärung des Gegebenen nichts beitragen kann. Ich werde daher in dem weiteren Verlaufe dieses Werkes die Annahme einer Vielheit unbedingter Wesen nicht mehr berücksichtigen. Nur die Realität der Körper, als welche allein keine Erzeugnisse der blossen Phantasie sind, wird in einem Kapitel des 2. Bandes einer ausführlichen Prüfung unterworfen. In dem Nachfolgenden dagegen werden diejenigen metaphysischen Lehren den Gegenstand unserer Betrachtung und Untersuchung ausmachen, welche das Unbedingte als eine Einheit fassen und den Zusammenhang der gegebenen Welt mit dieser Einheit zu begreifen suchen.

 

Diese Lehren zerfallen in zwei grosse Gruppen, von denen die eine das Unbedingte als mit der Welt identisch und dieser innewohnend, die andere als von der Welt unterschieden und ausser ihr liegend fasst. Die erste Gruppe umfasst die Lehren, welche man im Allgemeinen die pantheistischen nennt, und die andere die theistischen. Wir werden beide nach einander prüfen und namentlich in dem gegenwärtigen Kapitel die pantheistische Voraussetzung durchnehmen.

 

Zuerst sage ich nun, dass der pure, strenge Pantheismus ein nicht zu vollziehender, unmöglicher Gedanke ist, der zwar von Manchen behauptet, abev von Keinem wirklich gedacht worden ist. Denn der pure Pantheismus besteht in der Behauptung, dass alle die vielen und verschiedenen Gegenstände, die wir erkennen, gerade in ihrer Vielheit und Verschiedenheit ein einziger Gegenstand seien, welcher eben das Unbedingte ist. Die offenbare Ungereimtheit dieser Behauptung dispensirt uns von einer besonderen Widerlegung derselben. Ich bemerke daher bloss, dass wenn es erlaubt und möglich wäre, zu denken, dass Vieles und Verschiedenes ursprünglich, seinem unbedingten Wesen nach eins sei, dasselbe nach der unausbleiblichen Consequenz des Begriffs auch unmittelbar eins sein würde, wie ich schon früher gezeigt

 

 


 

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habe. Wäre die Einheit des Wirklichen von seiner Vielheit nicht getrennt und nicht verschieden, so würde sie eben in und mit dieser Vielheit unmittelbar gegeben sein. Wir dagegen sehen, dass uns unmittelbar nichts gegeben ist, als eine Vielheit von Erscheinungen, deren Zusammenhang nie in ihrer wahrgenommenen Beschaffenheit entdeckt, sondern nur inductiv aus der Ordnung ihres Daseins im Zugleichsein und in dem Aufeinanderfolgen erschlossen werden kann. Die Einheit des Verschiedenen liegt also anderswo, als in dessen Verschiedenheit.

 

Was daher die Pantheisten unter ihrem Absoluten odor Gott denken, ist nie eine Einheit, welche mit der vielfältigen Welt der erkannten Gegenstände wirklich identisch wäre, sondern sie verstehen darunter vielmehr den bloss erschlossenen immanenten Zusammenhang der Dinge, das allgemeine Element der Natur, welches sie sich, natürlich in einer höchst confusen Weise, als einen realen Gegenstand denken, welcher der Träger der vielgestaltigen Welt sei. Der Pantheismus ist in der That die Verwechselung des Uebedingten mit dem Allgemeinen, zu welcher schon Platon durch seine Ideenlehre den Weg gebahnt hat. Nichts kann aber falscher und verkehrter sein, als diese Verwechselung. Denn wenn es einen Begriff gibt, welcher demjenigen des Unbedingten am diametralsten entgegengesetzt ist, so ist es gerade der des Allgemeinen, da dasselbe eben nichts Anderes, als die Relation des Verschiedenen unter einander ist. Schopenhauer hat daher Recht, wenn er sagt: »Der Fortschritt vom Theismus zum Pantheismus ist der Uebergang vomUnerwiesenen und schwer Denkbaren zum geradezu Absurden« (Par. u. Paral. II. S. 85); nur dass Schopenhauer selbst auch einen Pantheismus unter einem anderen Namen gelehrt hat. Sein »Wille« als »Ding an sich« ist doch auch nichts Anderes, als der allgemeine Zusammenhang der Dinge nach Analogie des menschlichen Willens gedacht und zugleich zum Unbedingten erhoben. Es scheint zwar, dass derjenige, welcher den immanenten Zu-

 

 


 

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sammenhang und die natürliche Ordnung der Dinge bloss für den unbedingten realen Träger derselben hält, nur eine einfache Verkehrtheit begeht, während derjenige, welcher diese natürliche Ordnung noch ausserdem Gott nennt, eine doppelte Verkehrtheit begeht, da mit dem Worte »Gott« in dem Bewusstsein jedes Menschen mehr oder weniger der Begriff des unbedingt Guten und Vollkommenen verbunden ist, und die natürliche Ordnung der Dinge nichts weniger als unbedingt gut und vollkommen ist. Allein beides kommt dennoch auf dasselbe hinaus, wenn es sich nämlich erweist, dass der Begriff des Unbedingten von demjenigen des rein Guten und Vollkommenen unzertrennlich ist, und dass also in der That unter dem Unbedingten nichts Anderes, als Gott verstanden werden kann.

 

An der Behandlung des Zusammenhangs der Dimge nun, welcher einen der vornehmsten Gegenstände der metaphysischen Erklärung bildet, zeigt sich am deutlichsten die sonderbare und so sehr verwirrende Tendenz des menschlichen Geistes, eine Thatsache nie rein für sich, abgesondert von allen möglichen und unmöglichen Erklärungen derselben zu fixiren, sondern die Facta und deren jeweilige Erklärungen stets als ein unzerlegbares Object zusammen zu denken. Das ist eine Art mentaler Chemie, wie es die Engländer nennen, welche zu den wunderlichsten Betrachtungen Anlass gibt. So sehen wir z. B., dass der innere Zusammenhang der Dinge entweder ganz geleugnet – nämlich von einigen Empiristen – oder für den realen Grund der Dinge selbst erklärt – von den Pantheisten, – oder endlich als die Folge, die Wirkung eines ausserweltlichen realen Grundes – von den Theisten – angesehen wird. Keinem will es einfallen, sich zu fragen: Was wir denn eigentlich von dem inneren Zusammenhang der Dinge selbst, der ja mittelst Induction aus den Thatsachen erschlossen wird, auf Grund dieser Thatsachen denken und behaupten sollen, ehe wir daran gehen, ihn nach irgend welchen Voraussetzungen zu erklären?

 

 


 

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Hier werden vorläufig die folgenden Bemerkungen über diesen Gegenstand genügen:

 

1) Die Anerkennung der Gültigkeit der Induction ist gleichbedeutend mit und unzertrennlich von der Anerkennung eines wirklichen Zusammenhangs der Dinge und Erscheinungen dieser Welt. Bedingte Vereinigung des Verschiedenen, Verbindung desselben nach Gesetzen haben wir oben (im 2. Buch) sogar als den allgemeinen Charakter der Welt der Erfahrung erkannt. Dieser Zusammenhang, dieses Band der Erscheinungen muss nun aber als ein reales Element gedacht werden, welches die Erscheinungen zusammenhält, obgleich wir uns nie von dessen Beschaffenheit eine anschauliche Vorstellung machen können, da diese eben nie in unserer Wahrnehmung vorkommt. Es ist doch schlechthin unmöglich zu denken, dass die gegebenen Erscheinungen unter einander zusammengehalten und doch durch nichts zusammengehalten werden. Was sie zusammenhält, muss etwas Wirkliches sein und wir müssen uns nur hüten, von diesem wirklichen Etwas nicht mehr zu behaupten, als wozu uns die Induction aus den Thatsachen berechtigt. Wenn wir daher in der wahrnehmbaren Beschaffenheit der Erscheinungen selbst eine offen ausgesprochene Rücksicht auf einander bemerken, wie sie in der unveränderlichen Aufeinanderfolge von Ursache und Wirkung zu Tage tritt oder in den Gruppen zugleichseiender Erscheinungen, welche einander so angepasst sind, dass deren Complex unter sehr verschiedenen und wechselnden Umständen stets als derselbe identische Körper wahrgenommen werden kann, – so kann diese Rücksicht und Anpassung nichts Anderes, als ein Zeichen davon sein, dass die betreffenden Erscheinungen innerlich mit einander verknüpft sind. Diese ihre Verknüpfung ist »innerlich« heisst, sie liegt hinter ihrer wahrnehmbaren, unmittelbar gegebenen Seite; denn unter dem »Inneren« der Objecte kann eben nur dasjenige verstanden werden, was dem erkennenden Subjecte nicht unmittelbar zugänglich ist.

 

 


 

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So muss man den Zusammenhang der Erscheinungen auffassen, wenn man ihn rein als eine durch Induction constatirte Thatsache nimmt. Die Induction berechtigt uns bloss zu der Annahme von Kräften, welche nach den in der Erfahrung erkannten Gesetzen wirken. Von einer Kraft können wir nichts wissen, als dass dieselbe etwas Intensives ist und das einheitliche Element bedeutet, welches die, in der Wahrnehmung ausser einander gegebenen Erscheinungen verknüpft. Wir müssen zugeben, dass in diesem unbekannten Etwas der Grund liegt, warum gewisse bestimmte Erscheinungen näher unter einander als mit den übrigen verbunden sind, warum das Auftreten der Erscheinungen sowohl im Zugleichsein wie in der Aufeinanderfolge gerade nach den uns bekannten und nicht nach anderen Gesetzen erfolgt. Wir müssen daher diesem unbekannten Etwas eine reichhaltige Natur zuerkennen, ohne jedoch uns erlauben zu dürfen, über dieselbe Vermuthungen aufzustellen, welche ja nothwendig blosse Luftsprünge sein würden. Nur einen auffallenden Umstand, nämlich die merkliche Aehnlichkeit oder Verwandtschaft zwischen der objectiven, allgemeinen Ordnung der Dinge ausser uns und dem Denken oder der Vernunft in uns, muss man zu begreifen suchen. Wie dieses ohne grundlose, metaphysische Voraussetzungen geschehen kann, werde ich im 2. Bande andeuten.

 

2) Die Hauptsache aber, welche wir von der inneren Verbindung der Erscheinungen, die wir Kraft nennen, einsehen und festhalten müssen, ist, dass dieselbe ein empirischer Gegenstand, ein integrirender Bestandtheil der Welt der Erscheinungen, kein metaphysisches, transcendentales Object oder Noumenon ist. Wie die Geschwindigkeit (eine Kraft) eine blosse Function der Bewegung ist, so ist jede Kraft, jede Causalität eine Function des Geschehens selbst. Allgemein gesagt, der Zusammenhang des Verschiedenen ist eine Function dieses letzteren, existirt nur mit und in demselben. In der Ordnung des Begründens sind die

 

 


 

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Objecte eher da, als ihre Verhältnisse und nicht umgekehrt. Das allgemeine, verbindende Element der Natur für das Unbedingte zu halten und aus demselben die gegebene mannigfaltige Beschaffenheit der Einzelerscheinungen ableiten zu wollen, hat ungefähr ebensoviel Sinn, als wenn man das Dasein der Bürger eines Staates aus dessen Verfassung ableiten wollte. Das ist es nun aber gerade, was die Pantheisten unternehmen, deren Lehren daher sämmtlich auf einem ziemlich ärmlichen Missverständuiss beruhen.

 

Hier will ich zunächst die Lehre des Spinoza ein wenig ins Auge fassen, dessen Consequenz ganz besonders gerühmt wird. Die Ansicht dieses »consequenten« Denkers ist so unklar, dass einige dieselbe für einen Akosmismus, Andere dagegen für einen Atheismus hielten. Zu beiden Auffassungen ist in Spinoza’s Schriften der Grund anzutreffen. Was das Verhältniss des Einen Unbedingten zu der Vielheit dez erkannten Welt betrifft, so findet man in dessen »Ethik« eigentlich vier verschiedene Behauptungen darüber. Erstens, »sind die einzelnen Dinge nur die Erregungen der Attribute Gottes oder die Zustände, wodurch die Attribute Gottes sich auf eine feste und bestimmte Weise darstellen« (Eth. S. 32). Zweitens, verhält sich nach Spinoza das eine Unbedingte zu den vielen Dingen der Welt wie eine Definition zu den Folgerungen, welche aus ihr hervorgehen: »Aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur muss Unendliches auf unendlich viele Weise folgen, d. h. Alles, was von einem unendlichen Verstand erfasst werden kann« u. s. w. (Eb. S. 24 – 5). Hieraus ergibt sich nach ihm, dass drittens, Gott die wirksame Ursache von allen Dingen sei, welche von einem unendlichen Verstand erfasst werden können. Und zwar nicht einmal die unmittelbare Ursache von Allem ist Gott nach Spinoza. Was endlich ist und eine beschränkte Existenz hat, sagt er, »hat aus Gott oder aus einem seiner Attribute folgen müssen, insofern es in einer gewissen Weise erregt angeschen wird» (Eb. S. 33). Dies ist das »Insofern«, von welchem

 

 


 

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Herbart sagte, dass dasselbe die bequemste aller Manieren sei, Vielheit in die Einheit hineinzubringen. Endlich, viertens, ist nach Spinoza Gott die wirkende Natur (natura naturans), die er zwar definirt als »solche Attribute der Substanz, welche deren ewige und unendliche Wesenheit ausdrücken, d. h. Gott, soweit er als freie Ursache betrachtet wird (Eb. S. 35), unter der er aber nichts Anderes gemeint haben kann, als eben das innerlich wirkende Princip der Natur, d. h. das allgemeine, verbindende Element derselben, welches sich in der natürlichen Ordnung der Dinge ducumentirt.

 

Obgleich also Spinoza keinen Anstand nahm, Denken und Ausdehnung, so disparat diese auch sind, in dem Wesen seiner Substanz ohne Weiteres zu vereinigen, so hat doch auch nicht einmal er gewagt, das Unbedingte für die unmittelbare Einheit aller Dinge, für ein wirkliches έν χαι παν zu erklären. Eine Vielheit von Dingen kommt nach ihm nur daher, dass Gott auf verschiedene Weise erregt angesehen wird. Von wem Gott erregt und von wem er bei der Hervorbringung der Dinge als erregt angesehen wird, darüber gibt Spinoza natürlich keine Auskunft. Das sind Worte, welche anstatt der fehlenden Begriffe stehen und deren Mangel verbergen sollen. Weil nun eben mit der Lehre des Spinoza kein bestimmter Sinn verknüpf werden kann, ist es geschehen, dass dieselbe sowohl für einen Akosmismus als für einen Atheismus gehalten worden ist. Schenkt man nämlich den Betheuerungen Spinoza’s Glauben, dass nach ihm das Eine allein unbedingt ist und die Fülle der Realität besitzt, so muss man consequenterweise die vielen Dinge dieser Welt für blosse Erscheinungen halten, welche ein Element der Unwahrheit und Nichtigkeit in sich tragen, das sie von dem wahrhaft Seienden unterscheidet und sie nicht für eigene Zustände oder Bestimmungen desselben ansehen lässt; man nähert sich also der eleatischen Ansicht, dem Akosmismus, welcher durchaus kein Pantheismus ist. Allein das war es gar nicht, was Spinoza eigentlich meinte. Verfolgt man seine

 

 


 

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weiteren Ausführungen, so wird klar, dass er die Dinge der Welt vielmehr für wirklich hielt und unter Gott eigentlich nur deren verbindendes Princip und deren natürliche Ordnung verstanden hat, was reiner Atheismus ist, weil das wirkende Princip der Natur ein Bestandtheil derselben ist. Daher heisst es auch bei Spinoza oft: »Gott oder Welt«.

 

In Ermangelung klarer Gedanken suchen die Pantheisten ihre Ansicht durch kräftige Behauptungen zu unterstützen, ohne Rücksicht auf deren Absurdität. Zu solchen gehört z. B. die Behauptung Schelling’s (und auch Schopenhauer’s), dass das Unbedingte in jedem Einzeldinge der Erfahrung ganz vorhanden sei. Da müsste also das Unbedingte so vielemal ganz vorhanden sein, als es Einzeldinge in der Welt gibt; zugleich soll aber dasselbe in allen ungetheilt und eins sein. Es ist doch wahrhaftig ein unglücklicher Umstand, dass Worte so leicht die Stelle der Gedanken vertreten können. Auch nur beiläufig erwähne ich den sog. Panentheismus, nach welchem, wie Schopenhauer es spottend, aber richtig ausdrückt, Gott himmelweit von der Welt verschieden und doch mit derselben ganz eins ist und bis über die Ohren in ihr steckt. Hier liegt nicht allein das Widersprechende, sondern auch das Gemachte und Absichtliche der Behauptung zu klar am Tage.

 

Ich kenne nur eine einzige Gestaltung der pantheistischen Lehre, welche, wenn nicht einen verständlichen Sinn, so doch wenigstens eine verständliche Absicht des Denkens sehen lässt, wo man wenigstens weiss, was die Leute eigentlich meinen und sagen wollen, nämlich die Voraussetzung, dass die vielen Dinge der Welt ursprünglich, in ihrem früheren Zustande eine Einheit ausgemacht haben und durch wirkliche Theilung dieser Einheit zu einer getrennten Existenz gelangt sind. Dabei denkt man sich einen Rest der ursprünglichen Einheit, welcher unter allen den getrennten Stücken am meisten von dem gemeinsamen Stoffe enthält und daher gewissermassen als der Repräsentant jener Einheit und als der

 

 


 

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Mittelpunkt aller sich zerstreuenden Elemente angesehen wird. Das ist es ungefähr, was in den sog. Emanationslehren vorgebracht wird. Es wird wohl auch eine Abnahme in der Vollkommenheit der Elemente im Verhältniss zu ihrer Enrfernung von dem Mittelpunkt angenommen. Denn man ist ja gewöhnt zu sehen, dass das aus einem Mittelpunkt im Raume sich Zerstreuende mit der Entfernung immer dünner wird, und Vollkommenheit bedeutet bei den Pantheisten nichts Anderes, als das Quantum der Realität, das Mehr derselben. Es versteht sich von selbst, dass der Gedanke der Theilung einer realen Einheit keinen Sinn hat. Denn unter einer Einheit kann nur verstanden werden entweder etwas, das gar nicht getheilt werden kann, in welchem Falle allein es eine reale Einheit ist, oder eine Verbindung des Verschiedenen, welche aber dann nicht vor diesem vorhergehen kann, weil sie ein blosses Verhältuiss des selben ist.

 

Eine ausführlichere Widerlegung des Pantheismus erachte ich nach allem früher Gesagten für unnöthig. Dass der Pantheismus die Vielheit der Welt nicht erklären und aus seinen Voraussetzungen nicht rechtfertigen kann, ist eine altbekannte Sache. Ich will nur noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der mit allem Pantheismus vollkommen unvereinbar ist. Das ist nämlich das Vorhandensein der Unwahrheit in der Welt. Warum zerfällt Alles in ein Subject und ein Object des Erkennens? Warum muss Alles, was in den Objecten da ist, sich noch einmal in den Vorstellungen derselben wiederholen? Und warum erscheinen dem Subjecte die empirischen Gegenstände als eine Welt unbedingter Wesen, während es in Wahrheit nur ein einziges Unbedingtes gibt? Kein Pantheist hat auch nur den Versuch gemacht, dieses zu begreifen und zu beantworten. Noch unüberwindlicher steht dem Pantheismus das Uebel entgegen, da dasselbe vollends nicht als zur ewigen Ordnung gehörend und in dem eignen, unbedingten Wesen der Dinge begründet gedacht werden kann.

 

 


 

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Von den zwei früher angeführten allein möglichen Wegen zum Hinausgehen über das Gegebene kann der Pantheismus keinen benützen und sich durch keinen rechtfertigen. Denn der Schluss auf die Ursache oder den Grund der Welt, auch wenn er gültig wäre, würde nothwendig die Unterscheidung des Grundes von der begründeten Wirklichkeit ergeben, also nicht zu einer pantheistischen, sondern zu einer theistischen Auffassung der Welt führen. Und das Bewusstsein, dass die Wirklichkeit an sich, in ihrem eigenen, unbedingten Wesen nicht so beschaffen ist, wie wir sie erkennen, implicirt, dass die erkannte Welt Elemente enthält, welche dem Unbedingten an sich fremd sind und also weder mit ihm identificirt noch aus ihm abgeleitet werden können. Wenn dagegen das Unbedingte mit der Welt identisch wäre, was könnte dann die unnöthige Annahme dieses Unbedingten überhaupt zu bedeuten haben? Dann wäre eben die Welt selbst unbedingt und die Erfahrung eine Metaphysik. Versteht man unter der Welt die Körper, so hat man die materialistische Erhebung der Erfahrung zur Metaphysik. Versteht man dagegen darunter den gegebenen Stoff der Wirklichkeit, welcher einem steten Wechsel unterworfen ist, so hat man die Heraclito-Hegel’sche Erhebung der Erfahrung zur Metaphysik. Die offenbare Inconsequenz beider Ansichten besteht darin, dass sie sich überhaupt nicht mit der Erfahrung, wie sie ist, begnügen, sondern dieselbe umdichten, die Materialisten – zu der Vorstellnng einer Welt nichtwahrnehmbarer Atome, Hegel – zu der Vorstellung einer vermeintlichen »Idee«, welche in der Welt den Kreis ihrer Umwandlungen durchläuft. Zu beiden ist nicht die geringste Veranlassung vorhanden, wenn man die Welt selbst für das Unbedingte hält.

 

Der Pantheismus war einfach ein Einfall unkritischer Köpfe, welche von dem Bedürfniss des menschlichen Denkens nach Einheit fortgerissen, dasselbe dadurch zu befriedigen suchten, dass sie das zu Erstrebende als bereits gefunden und gewonnnen postulirten. Hat doch Kant selbst gesagt, dass

 

 


 

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es wünschenswerth wäre, Alles aus einem Princip abzuleiten (Kr. d. Urth. S. 25 – 6); das unkritische Denken aber kann jeden seiner Wünsche realisiren, durch den einfachen Kniff nämlich, dass es sich einbildet, denselben auf irgend eine Weise schon realisirt zu haben.